Montag, 9. Mai 2011

Rache ist sauer

"Revenge is sour" schrieb George Orwell 1945, als er mit einem belgischen Kollegen in Süddeutschland ein Kriegsgefangenenlager besuchte und das Vergnügen beobachtete, wie ein angeschlagener Offizier der Schutz Staffel einen heftigen Tritt gegen seinen deformierten Fuß erhielt. Der Tritt war verständlich, fühlte George Orwell dieses Vergnügen nach: "Who would not have jumped for joy, in 1940, at the thought of seeing S.S. officers kicked and humiliated? But when the thing becomes possible, it is merely pathetic and disgusting". Genau gesprochen, überlegte George Orwell, gibt es nicht so etwas wie Vergeltung. Sie ist die fantasierte Handlung im Zustand der Machtlosigkeit - ist der Zustand aufgehoben, verflüchtigt sich der Wunsch nach Rache, so Orwell.

Was ist mit der vergnüglichen Reaktion auf Osama bin Ladens Tod? Die Bundeskanzlerin sagte am 2. Mai 2011 (SZ vom 3.5.2011): "Ich freue mich, dass es gelungen ist, Osama bin Laden zu töten". Wie zur Milderung ihres Satzes schob sie die triviale Feststellung hinterher, dass (sinngemäß) Osama bin Laden nicht mehr in der Lage wäre, terroristische Pläne zu entwickeln.  Darf die Bundeskanzlerin sich in der Öffentlichkeit wie eine Kinogängerin freuen? Nein, sie äußerte sich im Rahmen ihres Amtes, das sie auf die Rechtsstaatlichkeit und die Philosophie unseres Rechtssystems verpflichtet. Weshalb der Hamburger Richter Heinz Uthmann sie wegen Belohnung und Billigung einer Straftat anzeigte. Ihr Satz sprach das Vergnügen einer Kinogängerin aus, die die Realität des toten Osama bin Laden mit dem unvermeidlichen Opfer-reichen Leinwand-Einsatz eines Bruce Willis oder Steven Seagal verwechselte. Wenige Wochen zuvor hatte sie den Betrug ihres Verteidigungsministers gebilligt und belohnt und die Ethik von Wissenschaft verhöhnt, als sie über den wissenschaftlichen Assistenten spottete. Ihr Satz lässt nicht erkennen, dass sie die Komplexität der Implikationen der Erschießung Osama bin Ladens im Blick hatte - weder unsere Ethik des Todes, noch das Problem des Rechts und des Völkerrechts, noch die Frage der Wirkungen der U.S.-Intervention auf die Organisation und Macht-Hierarchie des al-Qaida-Gefüges und auf die befreundeten oder sympathisierenden gesellschaftlichen und religiösen Gefügen verschiedener Länder.

Es ist die Frage, wie gut die U.S.-Regierung die Organisation und die Machtverhältnisse des terroristischen Gefüges und damit die Bedeutung, Funktion und Macht von Osama bin Laden kannte und die Folgen ihrer Intervention abschätzen konnte. Die Konzentration auf den exponierten Repräsentanten läuft Gefahr, dessen Status zu überschätzen und die Dialektik und die Organisation von Macht zu unterschätzen. Das Narrativ des Tyrannenmordes ist insofern naiv, als es für komplexe Gesellschaften nicht die Strukturen berücksichtigt, die dem Tyrannen dessen Status zuweisen. Deshalb ist für den deutschen Kontext die Frage, ob und wie die Exekution Adolf Hitlers die deutsche Katastrophe aufgehalten hätte; denn der Chef der nationalsozialistischen Regierung, die nicht regierte, wurde getragen und unterstützt von einer Reihe krimineller Organisationen und Strukturen, deren Repräsentanten möglicherweise nicht ohne Gegenwehr auf ihren Macht-Status und Macht-Einfluss verzichtet hätten. Die Freude über Osama bin Ladens Tod ist unangebracht. Wir sind nicht im Kino, wo die Toten keine Toten sind. Der Hergang der U.S.-Intervention ist ebenso ungeklärt wie ihre Auswirkungen offen sind. Unsere Bundeskanzlerin sollte das wissen.

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