Dienstag, 24. Mai 2011

Wer eiert, verliert das Gleichgewicht

Nachlese zu Bremen, heute in der SZ vom 24.5.2001, Seite vier:
"Aber immer deutlicher wird, dass die noch im Herbst beschlossene Laufzeitverlängerung für Atomkraftwerke ein historischer Fehler war. Es war von Anfang an eine Politik gegen die Mehrheit der Menschen", schreibt Stefan Braun. Deshalb erhielt die Regierungspartei am Sonntag in Bremen die Quittung. Was ist ein historischer (politischer) Fehler? Stefan Braun meint offenbar einen taktischen Fehler: Gegen die Mehrheit der Menschen könne man nicht regieren. Genau das ist das Missverständnis: Es geht nicht um Taktik, es geht um die Sache und um die Überzeugung, wie diese Sache einzuschätzen ist. Klar ist: Innerhalb von 24 Stunden (s. meinen Blog vom 14.3.2011 ) wechselte die Regierung ihren Standpunkt und demonstrierte, dass sie keinen Standpunkt hatte. Klar ist, dass unsere Regierung Fantasie-los war und die schlimmsten - sehr realen -  Befürchtungen der Leute nicht im Blick hatte, weil sie die  Reichweite von Wahrscheinlichkeitssaussagen nicht einschätzen konnte. Die Überzeugungslosigkeit wurde in Bremen quittiert. Überzeugungslosigkeit einer Regierung bedeutet: Sie gibt keine Orientierung; sie weiß nicht, was wichtig ist; sie schätzt die Welt unscharf ein. Sie eiert. Wer eiert, verliert Vertrauen und Überzeugungskraft. 


Ein Wort noch zum impliziten Politik-Verständnis der Formel gegen die Mehrheit der Menschen. Im Idealfall besteht der demokratische Prozess im Austausch mehr oder weniger überzeugender Argumente; das plausibelste sollte sich durchsetzen. Nicht der kleinste gemeinsame Nenner von Argumenten. Der gilt im Jargon der öffentlichen Diskussion als das politisch Machbare, das gewissermaßen ausgemessen wird wie die Handlungsanleitungen der öffentlich-rechtlichen Sendeanstalten, die sich an den Einschaltquoten orientieren und mittlerweile am Einschaltquoten-Syndrom leiden. Eine Regierung wird gewählt, um die Lebensinteressen ihrer Wählerinnen und Wähler zu schützen und sie zu überzeugen, welche Planungen, Konzepte und Interventionen angemessen sind - gerade dann, wenn sie einem gegen den sprichwörtlichen Strich gehen. Nicht, um sich vorwiegend an ihrem Interesse an der Wiederwahl zu orientieren.        

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen