Sonntag, 16. März 2014

Unser Schlaumeier

"Wehrt Euch", empfahl neulich Hans Magnus Enzensberger in der FAZ (1.3.2014, S. 9, Nr. 51), "wer ein Mobiltelefon besitzt, werfe es weg...Smart sind nicht diese Geräte oder die sie benutzen, sondern die sie uns anpreisen, um unermessliche Reichtümer anzuhäufen und gewöhnliche Menschen zu kontrollieren". Zum elektronisch abgespeckten Leben kann man (vielleicht) zurückkehren, wenn man arriviert ist und sich um seinen Alltag nicht kümmern muss - bleibt zum Beispiel die Frage: was macht man mit seinen Kindern, die es noch nicht sind und die einen zu erreichen versuchen? Oder die andere Frage: will man sich ausschließen von den Kommunikationsformen der jungen Leute? Was ist schlecht daran? Sind es die Spuren, die wir im Internet hinterlassen?  Der Satz brüstet sich mit der fröhlichen Verachtung dessen, was uns bewegt, und lädt zu der bekannten Geste der wegwerfenden Hand ein: Kannste vergessen. Das macht Enzensberger seit langem. Als Primaner bewunderte ich ihn in den 60ern; später wurde ich ernüchtert. Natürlich bin ich auch neidisch auf seinen Erfolg; aber so möchte ich auch nicht durchkommen. Er spottete über den Tourismus und den Kaufhauskatalog und die Sprache des SPIEGEL, für den er dann lange Riemen schrieb; einer handelte vom Fernsehen, dem Nullmedium, wie es nannte. Kannste auch vergessen. Die "Schreckensmänner" (ein anderer Buchtitel von ihm), die er die radikalen Verlierer nannte, auch. Und jetzt die analogen Analphabeten, die nur digital können: kannste auch vergessen. Kannst du nicht. Die öffentlichen Foren wandeln sich sehr. Die Plätze werden neu verteilt. Die Sennettsche Formel von der Tyrannei der Intimität muss wohl modifiziert werden. Die öffentlichen Foren und die öffentlichen Sphären entwickeln ihre eigene Dynamik: sie werden größer und größer und kommunizieren schneller und schneller; der Wunsch, sich auszutauschen, drängt mehr und mehr.

Den letzten Absatz seines Textes mit den zehn Empfehlungen will ich zitieren; man muss die Sätze sich vorsprechen und klingen lassen: "Der Schlaf der Vernunft wird bis zu dem Tag anhalten, an dem eine Mehrheit der Einwohner unseres Landes am eigenen Leib erfährt, was ihnen widerfahren ist. Vielleicht werden sie sich dann die Augen reiben und fragen, warum sie die Zeit, zu der Gegenwehr noch möglich gewesen wäre, verschlafen haben". Gut, dass Hans Magnus Enzensberger wenig schläft. Wie kann man sich wehren? Wahrscheinlich geht es doch zuerst einmal darum: sich zurecht zu finden in dem sich neu und anders konstellierenden Gefüge von Privatheit und Öffentlichkeit.


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