Dienstag, 26. Januar 2016

Journalistische Kopflosigkeit

Einen klaren Gedanken zu fassen, fand schon Fjodor Michailowitsch Dostojewski schwer. Jürgen Habermas hat mit seinem Wort von der neuen Unübersichtlichkeit die Beunruhigten vorläufig beruhigt; mehr nicht: ein nüchterner Befund war das nicht. Jetzt haben wir die Flüchtlingskrise, die eine Regierungskrise ist. Unsere Regierung fürchtet sich vor der Demokratie. Sie fürchtet die Differenzen; sie fürchtet den Streit; sie fürchtet die schlechte Presse; sie fürchtet sich vor schlechten Wahl-Ausgängen; sie fürchtet sich vor dem internationalen Ansehen; sie fürchtet sich vor unserer Geschichte. Sie hat die Übersicht verloren.

In einer Demokratie ist das ja nicht so schlimm: wir haben unseren institutionalisierten Rahmen, an dem wird nicht gerüttelt - nur ein bisschen: wenn die Kanzlerin die Vertreter des Karlsruher Bundesverfassungsgerichts zum Abendessen einlädt; ich gehe davon aus, dass die Eingeladenen wissen, was sie tun und bei einer solchen Einladung tun müssen - ; wir haben unsere Institutionen und Institute; wir haben Wahlen: bei nächsten Mal wird diese Regierung eben nach Hause geschickt.

Was ist daran so schlimm?

Oh je : wer kommt dann? lautet die gängige, kursierende Befürchtung. Die AfD!  Und damit die mit ihr imagnierte Wiederkehr (in welcher Form?) unserer nationalsozialistischen braunen und mörderischen Geschichte, die  dieser demokratisch legitimierten Partei angehängt wird. Sie ist noch immer nicht ablegt - sprich: bewältigt. Wie auch? Sie sitzt uns (genauer lässt es sich nicht sagen) noch immer im Nacken. Was sind meine Belege?

1. Die öffentliche, unablässige Dauer-Beschäftigung mit der Regierungskrise, die in den Bildern der so genannten Flüchtlinge vor uns vorbeizieht - am Morgen beim Frühstück, wenn ich die Zeitung aufschlage, am Abend, wenn die Tagesthemen ihre Dosen an Beunruhigung und Hilflosigkeit versenden: hält die Regierung die Regierung? Hält sie nicht? Wie geht es Angela Merkel?

2. Als ein Beispiel: der Kommentar von Jasper von Altenbockum - Titel: Die Zeit der Kanzlerin (Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 26.1.2016, S.1). Ein kopfloser Text. Er macht sich Sorgen um die Kanzlerin. Natürlich kann man sich Sorgen machen über das von ihrer Mannschaft angezettelte Durcheinander, ein Land, nicht ausgerüstet und nicht vorbereitet, zu überfordern, womit die Kanzlerin ihren Amtseid systematisch verletzt - nach meinem Rechtsgefühl. Es geht doch schlicht darum, zu sagen: so geht es nicht. Aber dieser Satz ist Tabu. Er könnte der CDU und der SDP schaden - weil, ja wieso?, weil -  die Folgen schrecklich wären. Japser von Altenbockum lässt mit seinem letzten Satz die sprichwörtliche Katze aus dem Sack : "Sie" - die sozialdemokratische Partei Deutschlands - "will nicht wahrhaben, dass sie damit dazu beiträgt, was Köckner zu verhindern sucht - zum Riesenerfolg der AfD".

Ist es das? Der befürchtete (schreckliche) Riesenerfolg der AfD? Ist die Antwort so einfach? Dass die Bundesregierung aus Furcht in einen überkompensierenden Anfall der Großzügigkeit verfiel, nicht mehr nachdachte, sich über das Parlament hinwegsetzte, den öffentlichen Diskurs ignorierte, die geltenden Gesetze und Regeln missachtete,  sich mit den Kolleginnen und Kollegen der anderen Länder nicht absprach und einfach das Steuer herumriss? Der Riesenerfolg der AfD wäre der Machtverlust der regierenden Parteien. Was ist daran so schlimm? Wird deren Vorsitzende die neue Kanzlerin? Man muss daran erinnern: die Machtergreifung war keine Macht-Ergreifung - Adolf Hitler wurde hinter den Kulissen ins Amt geschoben; seine Partei hatte vor dem 31.1.1933 keine Mehrheit. Wir wählen unsere Regierung (auf Umwegen).  Der Wechsel der Regierungen ist der Normalfall der Demokratie. Dass die eigene, favorisierte Partei nicht gewählt wird, muss man ertragen. In einer Demokratie werden (leider) viele andere Ideen als die eigene geteilt.  Dieser Gedanke ist noch kein bundesdeutscher Konsensus. Der Aufschrei damals, 1969, als die konservative Regierung abgelöst wurde, war anders -  aber ähnlich.

Das Problem ist: dass der Journalist der Frankfurter Allgemeine Zeitung auch seinen Kopf verliert. Er muss nur laut genug sagen: es geht nicht -  und damit unsere Regierung konfrontieren. Die Ängstlichkeit der Parteien zu verfolgen ist so wichtig nicht. Sie wurden gewählt, einen klaren Kopf zu behalten, nicht, um sich ständig Sorgen zu machen, wie sie wieder gewählt werden können. Und ein  Journalist ist dazu da, mit klaren Gedanken auf einer ordentlichen Politik  zu bestehen. Vor einem Auswechseln sollte er sich nicht fürchten.

(Überarbeitung: 29.1.2016)  

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen