Mittwoch, 6. Januar 2016

Bundesdeutsche Unterrichtsstunden im Fach Schuld-Eingeständnis

Seit vorgestern liegt die (zivilrechtliche) Anklageschrift der "U.S.A. vs. VW of America" und weiterer VW-Gruppierungen dem Gericht des Eastern District of Michigan vor. Dem Konzern werden die schweren Betruge, die Verletzungen der Abgas-Gesetze und die, wie es dort heißt, continuing obstruction der Klärung vorgehalten.

1. Seit dem Mai 2014 fragten die U.S.-Behörden in Wolfsburg nach. Die Frage ist, auf welchen  Schreibtischen in Wolfsburg die Anfragen kursierten und abgelegt wurden. Im Frühjahr des vergangenen Jahres gab es in Wolfsburg den als soap opera in der Presse kursierenden Machtkampf (siehe meinen Blog vom 14.4.2015) um die Leitung des Konzerns. Jetzt kann man wohl eins und eins zusammenzählen: es ging um die Frage des Umgangs mit den Anfragen der U.S.-Behörden und um den Umgang mit dem systematischen Betrug. Martin Winterkorn wurde bestätigt und erhielt im September des vergangenen Jahres seinen mehrjährigen Vertrag.

Weitere Fragen folgen:
1. Wenn  die Leitungs- und Kontrollgremien des Konzerns davon wussten - wovon man ausgehen muss - , wieso wurde Martin Winterkorn bestätigt?
2. Welchen Plan oder welche Idee hatten die Gremien mit dem Umgang der Anfragen und mit der Klärung des Bertrugs?
3. Wo - in welcher Welt, in welchen Fantasien - bewegten sich die Gremien, als sie zustimmten?

Die Fragen lassen diese Vermutungen zu:
1.   Die Gremien pflegten eine Art von Realitätsverlust.
2.   Sie unterschätzten das U.S.-Recht. Betrug wird in den Vereinigten Staaten schwer geahndet.
3.   Sie verachteten das U.S.-Recht.
4.   Sie fühlten sich im Recht: das Geschäft ging vor.
5.   Sie fühlten sich sicher.
6.   Sie kannten die bundesdeutsche Geschichte des zähen Aufklärens nationalsozialistischer Kooperation gut - man kann dabei in Jahrzehnten rechnen.
7.   Sie pfiffen auf demokratische Standards.
8.   Sie pfiffen auf die Sorgen um die Katastrophe des Klimawandels.
9.   Sie pfiffen  auf die Not der betroffenen Menschen.
10. Sie pfiffen auf die Not der Mitarbeiter und auf die Verluste der Anleger.
11. Sie pfiffen auf den Status der bundesdeutschen Demokratie.
12. Sie piffen auf den Status ihrer Industrie.

2. Weshalb werden die Repräsentanten aus Wolfsburg nicht angemessen in unserer Öffentlichkeit konfrontiert? Lese ich heute (6.1.2016) in der Frankfurter Allgemeine Zeitung,  fällt mir ein vertrautes Herumdrucksen und ein seltsames Einverständnis auf. "Washington  wirft VW fehlende Kooperation vor" heißt es dort heute auf der ersten Seite. Der Satz ist korrekt. Aber wo ist der Affekt? Die Empörung, dass die Repräsentanten von Wolfsburg versprachen, alles  (alles!) für die Aufklärung zu tun. Die Empörung über einen weiteren ausgedehnten Betrug uns gegenüber ? "Washington" mahnt den Betrug an. Wo ist die Redaktion der Frankfurter Allgemeine Zeitung? Sie hat, kann man vermuten, auch das Geschäft ihres Verlags im Blick: eine doppelseitige Anzeige dürfte einen sechsstelligen Euro-Betrag kosten. Die letzten Tage hat VW viel und großflächig geworben.

Auf  Seite 15 der Zeitung ist ein weiterer Text dazu zu lesen. Titel: "Für VW schlägt die Stunde der Wahrheit. Die Klage des Justiministeriums in Amerika trifft Vorstandschef Matthias Müller kurz vor seiner Reise zur Autoschau in Detroit". Wie liest sich das?
Der arme Mann  aus Wolfsburg. Wieso schlägt ihm in Detroit die Stunde der Wahrheit - und nicht:
bei uns -  hier?

Der arme Mann aus Wolfsburg hat übrigens der Öffentlichkeit mitgeteilt, er werde nicht auf die Knie fallen. Den trotzigen Tonfall kennen wir - er ist so alt wie die Bundesrepublik: der Siegerjustiz beugt man sich nicht. Der Kreis schließt sich: die Verachtung der Leistung der Vereinigten Staaten für unsere Republik ist weiterhin gegenwärtig. Wird Matthias Müller eine Schuld eingestehen?


(überarbeitung: 11.1.2016)
 

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