Freitag, 11. Dezember 2015

Zwei Selbst-Verteidigungen im Dienst des Geschäfts

1. Matthias Müller im Dienst von Volkswagen.
Gestern Abend (10.12.2015) in den Tagesthemen. Thomas Roth konfrontiert den neuen Chef von Volkswagen Matthias Müller:
"Können Sie sich erklären, woher diese kriminelle Energie kommt?"
Matthias Müller: "Kriminelle Energie - das klingt gerade so, als wäre es ein kriminelles Unternehmen. Soweit würde ich nicht gehen - "
Thomas Roth: " - aber es war ein kriminelles Delikt -"
Matthias Müller: " - man muss es letztendlich so werten. Und trotzdem darf ich an der Stelle erwähnen, dass Volkswagen ein Unternehmen mit starker Tradition und Identität ist und insofern für so etwas nicht steht".

Schwer, einen Betrug Betrug zu nennen - eine Schuld zuzugeben. Daraus lässt sich ableiten: Matthias Müller ist ein Mann des Konzerns; er verteidigt die anwaltlich empfohlene Verteidigungslinie des Konzerns: möglichst keine Zugeständnisse machen, sie könnten weitere zivilrechtliche Klagen zur Folge haben. Also verschanzen sich die Akteure und pressen ihre neun möglichen Verdächtigen aus der Ebene des mittleren Managements, wie Matthias Müller angab, der Öffentlichkeit gegenüber heraus. Neben der strafrechtlich relevanten Manipulation im großen Stil, wird in der Öffentlichkeit, die sich auf einen Skandal, aber auch (immerhin) auf Dieselgate verständigt hat, ein Aspekt unterschlagen: die Unverfrorenheit bei der Durchsetzung des Geschäfts, auf die Notwendigkeit, den Schutz unserer Gesundheit im Blick zu halten, zu pfeifen.

Dafür wäre eine Entschuldigung angebracht. Eine Entschuldigung wäre aber ein Eingeständnis, und ein Eingeständnis wäre ... siehe oben. Volkswagen war ein Lieblingsprojekt des Chefs der nationalsozialistischen Regierung, die bekanntermaßen die Volksgemeinschaft propagierte und versprach. Der Konzern bewegt sich auf holperigem Terrain. Entideologisiert, blendet nur das Geschäft dessen Führung.

Natürlich wird das Geschäft fortgesetzt. Matthias Müller versprach eine Bescheidenheit des Konzerns. Gestern schaltete Porsche vom VW-Konzern eine doppelte ganzseitige Anzeige: die obere Hälfte füllt ein durch eine südliche Landschaft brausender Porsche 911 Carrera S. Darunter der Mehrzeiler: "Der einzige Sportwagen, der sich mit einem 911 messen kann. Der neue 911".  Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 10.12.2015, S. 26 - 27. Die Anzeige, so kann man sie doch auch verstehen, kommentiert Matthias Müllers Donnerstags-Rhetorik der Besserung: keine Besserung. Schade, dass Thomas Roth ihn auf diese Anzeige - wenn er oder die Redaktion sie denn kannte - nicht ansprach.


2. Jürgen Kaube im Dienst der Frankfurter Allgemeine Zeitung.
Heute Morgen (11.12.2015) im Feuilleton hat Jürgen Kaube, einer der Herausgeber der Zeitung, einen offenen Brief  an Götz Aly geschrieben: "Lieber Götz Aly", lautet die Anrede von Jürgen Kaube, der seinen Brief beschließt mit: "Finden Sie nicht auch, dass das ein ziemlich hoher Preis dafür ist, einen Artikel mit haltlosem Unfug zu füllen? Ihr Jürgen Kaube".

Der haltlose Unfug ist ein grobes Dementi. Es geht um Götz Alys Vorwurf an den F.A.Z.-Autor Michael Hanfeld, der Mark Zuckerbergs Milliardenspende und Brief an seine Tochter einer - wie kann ich sagen? - ziemlich kritischen Durchsicht unterzogen und dem Spender dessen Geschäftsinteressen vorgehalten hatte. Götz Aly ordnete daraufhin Michael Hanfeld dem Typus des - wie Jürgen Kaube ihn zitiert -  "modernen, stillen" Antisemiten zu. Ein ungeheuerlicher Vorwurf, wie Jürgen Kaube findet.

Was ist daran ungeheuerlich? Ich kenne Götz Alys Text (aus der Berliner Zeitung) nicht; Michael Hanfelds Text habe ich überflogen. Mir fiel der harsche Ton auf - und die Selbstsicherheit des Autors. Woher weiß er es so genau?, dachte ich. Kennt er die nordamerikanische Spendenpraxis und die Praxis der Kommunikation dazu? Dass Mark Zuckerberg jüdischer Herkunft ist, hatte ich nicht realisiert. Ich dachte noch: wenn jemand sehr reich ist, muss man, wenn man zu ihm Stellung nimmt, seinen Neid gut kennen, sonst mischt sich  dieser Affekt in den Text. Jetzt hat Götz Aly, wenn ich ihn richtig verstehe, diesen Neid-Impuls aufgespießt und in den Kontext unserer nationalsozialistischen Geschichte verortet. Ungeheuerlich? 

Das kann man nur dann finden, wenn man sich von den Klischees des Ressentiments frei fühlt. Wer das von sich behauptet, ist naiv - und selbstgerecht. Was wäre gewesen, wenn Michael Hanfeld zugeben hätte: vielleicht habe ich überzogen - vielleicht hatte ich ein Vorurteil. Man kann ja zumindest prüfen, ob der Schuh, den man nicht gleich anziehen muss, zu einem passen könnte. Die eigene Prüfung und die Kontrolle eigener Klisches und Ressentiments entscheiden: nicht, dass ich meiner Vorurteilsbereitschaft aufsitze, ist relevant, sondern ob ich meine Vorurteilsbreitschaft zu bremsen imstande bin und mich belehren lassen kann. Interessanterweise diskutiert Jürgen Kaube nicht den - wie ich empfand - kräftigen Affekt seines Autors. So hätte Jürgen Kaube einen Dialog eröffnen können. Nein, der Herausgeber glaubte, sich und seine Zeitung verteidigen zu müssen.      

(Überarbeitung: 31.7.2018) 

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