Freitag, 11. November 2016

Donald Trump I:An American Tragedy

"An American Tragedy" überschrieb David Remnick vom The New Yorker seinen Blog vom 9.11.2016. Er beginnt seinen Text mit diesen beiden Sätzen:

"The election of Donald Trump to the Presidency is nothing less than a tragedy for the American republic, a tragedy for the Constitution, and a triumph for the forces, at home and abroad, of nativism, authoritarianism, misogyny, and racism. Trump's shocking victory, his ascension to the Presendency, is a sickening event in the history of the United States and liberal democracy".

"Die Wählerschaft", schreibt David Remnick, "hat in ihrer Mehrheit entschieden, in Trumps Welt zu leben". Wie Trumps Welt innen aussieht, wissen wir nicht - wir kennen nur das glitzernde Dekor seiner pompösen New Yorker Umgebung. Mit seiner Kampagne der Selbst-Besoffenheit vom eigenen Status und des Triumphs der zivilen Entdifferenzierung ließ sich Trump als der Messias des Zurückschlagens feiern: wir lassen uns nichts mehr gefallen und wir nehmen, was uns gefällt. Acht Jahre der Präsidentenschaft Barack Obamas sind genug. 

Sigmund Freud prägte das Wort vom Unbehagen in der Kultur. Jetzt könnte man vom Aufschrei des Unbehagens in der Demokratie sprechen. Dass mit der Wahl Donald Trumps die öffentliche Diskussion gezwungen wird, den Aufschrei derer wahrzunehmen und aufzunehmen, die in der drastischen nordamerikanischen Wortwahl unter den Lebensbedingungen des white trash leiden, kann für eine demokratisch verfasste Gesellschaft nur gut sein. Demokratie setzt auf den systematischen, belegten Austausch: auf Fairness, Redlichkeit und Aufrichtigkeit. Diese Ideale sind schwer zu verwirklichen. Angesichts der westlichen Fantasien vom Glanz des Reichtums halten sie bei der Realisierung der Fantasien nur auf - kein Wunder, dass die Korruption des großen und des kleinen Geschäfts häufig mit Achselzucken quittiert wird. Das Achselzucken ist gefährlich - es signalisiert den Rückzug aus der Auseinandersetzung um das für eine Demokratie notwendige Gefühl fairer Lebensverhältnisse und der Hoffnung auf einen redlichen und aufrichtigen Umgang und es kumuliert im mittlerweile weit verbreiteten Aufschrei wütender Ohnmacht.

Jetzt wird die Ohnmacht gehört. Man kann sie als Ressentiment - sozialwissenschaft korrekt, aus sicherer Mittelklassenlage -  etikettieren, um die Wucht projektiv adressierter Affekte zu bezeichnen. Man kann sie -  was häufig mit der  Wortwahl-Praxis der Verachtung (Beispiele: der Wutbürger, der Verlierer, der Bildungsferne) geschieht - belächeln. Man kann sie auch als die zunehmend konturierte Erfahrung unfairer, kränkender Lebensverhältnisse verstehen. Es wird Zeit, sie gut zu erforschen.

Die Tragödie, von der David Remnick sprach, ist sicherlich nicht sein letztes Wort. Im aristotelischen Verständnis diente sie der Katharsis: der Klärung, der Ernüchterung und Besinnung des Publikums. Bis dahin nahm das Theaterstück einen langen Anlauf. Wir wissen nicht, wo wir uns in diesem Ablauf befinden. Wir sind mitten drin im Prozess der Klärung der Frage, wie wir leben wollen. Wahrscheinlich nicht so wie der Immobilien-Mann in seinem Apartment in Manhattan. Wir machen weiter mit dem Geschäft der Klärung der (demokratisch verfassten) Lebensverhältnisse.

Ein Problem (das genügt für heute) sind auch die demokratisch fragwürdigen (nach meinem Geschmack: korrumpierenden) Praxen regelmäßiger demoskopischer Befragungen zum politischen Geschehen. Sie dienen vor allem der Nachtsteuerung der Regierungspolitiken im Kontext der künftigen Wählbarkeit und der Generierung der Aufmerksamkeit der damit befassten Medien. Hätte es vor dem 8.11.2016 keine Prognosen gegeben, wären wir nicht so überrascht worden. Prognosen relativieren die Bedeutung der Wahl. Die schlechten Prognosen zum Wahlausgang am 8.11.2016, muss man vermuten, waren einerseits das Resultat ungenügender Forschung und andererseits das Resultat ungenügender Auskunftbereitschaft der befragten Wählerinnen und Wähler. Befragungen haben das Problem, dass sie punktuell Absichten abfragen, von denen unsicher ist, ob sie realisiert werden. Absichten sind bewusste Handlungsentwürfe - die nicht bewussten Handlungsentwürfe fallen häufig durch das Fragebogen-Raster.

(Überarbeitung: 14.11.2016)

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