Montag, 23. April 2012

Der seltsame Impuls des Unverständnisses

Am vergangenen Samstag, den 21.4.2012, zog Hans Holzhaider auf der stets lesenswerten Seite Drei der SZ nach der ersten Woche der Osloer Verhandlung der Straftaten von Anders Breivik Bilanz - Titel und Untertitel resümieren: "Alles gesagt. Eine Woche in Oslo: Was einen Menschen zu solch einem Verbrechen treibt, kann auch der Prozess gegen Anders Breivik nicht klären. Aber die ganze Erbärmlichkeit eines Massenmörders, die steht vor Gericht".

Der Autor Hans Holzhaider ist ungeduldig. Das Verfahren ist noch nicht beendet, die Gutachter haben ihre Gutachten nicht vorgetragen, aber der Autor erklärt: "Was einen Menschen zu solch einem Verbrechen treibt, kann auch der Prozess nicht klären". Wieso nicht? Das letzte Wort ist noch nicht gesprochen. Eine Mindestanforderung an unsere forensischen Gutachter besteht darin, eine tragfähige Hypothese für eine lebensgeschichtliche Verortung der Straftaten vorzulegen - also klar zu legen, wie die Straftaten das Produkt der Kumulation spezifischer Erfahrungen der Lebensgeschichte sind. Die norwegischen Gutachter müssen darlegen, jenseits der politisch-philosophisch angestrengten Rationalisierungen, an wen Anders Breiviks offenbar unersättlicher Hass lebensgeschichtlich adressiert war oder ist. Damit würde deutlich, was Anders Breivik bewegte und bewegt.

Zur Erbärmlichkeit. Das Wort ist die Vokabel der Verachtung. Es enthält aber das Wort Erbarmen. Daran muss man erinnern. Es gibt auch die enorme Not Anders Breiviks - für die zumindest das Gericht  ein Verständnis aufbringen muss, will es nicht den Täter mit seinen Taten gleichsetzen und ihn damit  entmenschlichen und die gesetzliche Ordnung so weit korrumpieren, dass das Konzept der Würde des Menschen, auch wenn es schwer fällt, sie zu respektieren, dem merkwürdigen Impuls geopfert wird, das Verstehen zu verweigern.

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