Mittwoch, 27. Februar 2019

Stuss im Quadrat - über die angebliche "Macht der Einbildung"

Einbildung ist auch eine Bildung, sagten wir früher. Jetzt posaunt Martin Andree seine, wie er wähnt, Entdeckung des Jahrhunderts heraus: Ein Placebo ist die beste Medizin. Der Text erschien in der Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung (vom 17.2.2019). Martin Andree ist der Autor des Buches Placebo-Effekte. Vor Begeisterung schlägt er Purzelbäume des Spotts - hier eine Kostprobe:

"Wenn man die Erkenntnisse der naturwissenschaftlichen Placebo-Forschung ernst nehmen würde, müsste man beispielsweise sofort das Curriculum der medizinischen Ausbildung grundlegend verändern. Wenn durchschnittlich ein Drittel medizinischer Behandlungseffekte auf Placebo-Effekten beruhen, die ausschließlich durch das Theaterstück der therapeutischen Aufführung, seine Requisiten (Stethoskop, weiße Kittel, Ampullen, Kanülen et cetera) und Rituale hervorgerufen werden, dann müsste man eigentlich zum Wohle der Patienten diese Ärzte zu viel besseren Schauspielern ausbilden".

Manchmal werden Autoren von ihren Sätzen besoffen. Martin Andree sitzt der alten Idee einer Objektivität auf, die ihren Wahrheitsanspruch aus vermeintlich neutralen Meßergebnissen (sind sie natürlich nicht: das Instrument des Messens beeinflusst ebenso) ableitet. Seit über zweitausend Jahren wird über die Realität der Subjektivität nachgedacht. Seit dem ausgehenden 19. und dem Beginn des 20. Jahrhunderts wird für die Wahrnehmung der seelischen (interaktiven) Realität laut getrommelt - Martin Andree hat's überhört. Die Placebo-Effekt genannte Wirksamkeit gehört in die individuelle Realität der inneren, lebensgeschichtlich gewachsenen Welt von Beziehungen und in die Realität der therapeutischen Beziehung. Sie ist die Grundlage der Qualität der Begegnung und entscheidet mit. Martin Andree hat sie noch nicht entdeckt. Er redet einfach daher und hinkt ganz schön hinterher.


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