Dienstag, 12. November 2013

Ziemlich beste Friends

Wer die Vereinigten Staaten von Amerika schon einmal besucht hat, weiß: dort geht es anders zu als bei uns; dort geht man anders miteinander um als bei uns. Beginnt man die Unterschiede zu typisieren, läuft man Gefahr, Klischees zu beschreiben. Es gibt natürlich deutliche Unterschiede. Wer dort einreist, muss durch die Immigration. Das ist eine ernste Vokabel. Sie kündigt an: hier wird penibel geprüft. Manchmal besonders penibel; manchmal nicht, dann geht es ganz humorvoll zu. Wenn man anklingen lässt, dass man den Ernst der Prüfung nicht ernst nimmt, wird es schwierig. In jedem Fall wird kontrolliert, mit dem Rechner abgeglichen und registriert: die Daten im Pass, seit dem patriot act in der Folge des 11. September 2001 der Fingerabdruck (beider Hände) - und fotografiert. Welche Daten der Rechner vorhält, weiß ich nicht; sicherlich die Flugdaten, vielleicht auch die Daten der Geschichte der eigenen U.S.A.-Besuche. Unsere Tochter vermutet: die bei der Einreise abgenommenen Fingerabdrücke werden mit den Fingerabdrücken in unseren Pässen verglichen. Wer weiß?

Im alltäglichen Umgang geht es großzügig-freundlich zu. Wenn man drei englische Wörter kann, spricht man die Sprache fließend. Wird man von einem Nordamerikaner, der einen einigermaßen kennt (vielleicht von der letzten Tagung), einem Landsmann vorgestellt, wird man als friend eingeführt. Die Vokabel friends wird elastisch gebraucht: es wird einem einfach gemacht; die gerade entstehende Beziehung erhält einige Vorschusslorbeeren, womit die ersten (vielleicht beschämenden) Holprigkeiten  erster Begegnungen gemildert werden. Natürlich gibt  es einen sorgfältigen Gebrauch des Worts vom Freund. Bis man sich nämlich als Freund eines Nordamerikaners fühlt, braucht es eine ganze Reihe guter, sehr persönlicher Begegnungen. Dann ist das Wort friend eine Auszeichnung und wie bei uns das Resultat eines längeren interaktiven Prozesses gegenseitiger Abstimmung über die Qualität der Beziehung.

Deshalb sollte man den Gebrauch des Wortes Freundschaft, das die Firma facebook, die ihr Geschäft mit dem Vermitteln von Beziehungsgefügen macht, übersetzen als einen Begriff der Einladung oder Ermunterung zu einer oder mehrerer Beziehungsaufnahmen. Das Fernsehen gestattet fantasierte Beziehungen zu den Protagonisten der Mattscheibe, facebook eine Beziehungsform zwischen dem fantasierten und dem direkten Kontakt geteilter Anwesenheit, wobei das Versprechen mitläuft, dass aus der indirekten eine direkte Beziehung wird. Sehe ich unsere Tochter und deren facebook-Beziehungsgefüge, dann habe ich den Eindruck, dass sie mit dieser Form des Kontaktes als einer spezifischen Dosierung von veröffentlichter Intimität gut zurecht kommt. Apokalyptische Sorgen machen sich die Erwachsenen, die mit den nordamerikanischen Beziehungs-Einladungen nicht vertraut sind und sich an den deutschen Konnotationen orientieren - weshalb noch immer das Klischee, der Vorwurf und die Verachtung der jenseits des Atlantiks herrschenden Beziehungs-Beweglichkeit des Kontaktes existieren.

Weshalb das Entsetzen und die öffentliche Empörung der Bundeskanzlerin so groß waren, als sie realisierte, dass sie von den amerikanischen Freunden nicht als Freundin behandelt wurde. Das geht nicht, sagte sie. Natürlich geht das. Die Bundesrepublik war - ist sie es noch? - ein besetztes Land, in dem die Alliierten sich vertraglich die Arbeit ihrer Geheimdienste ausbedungen hatten, was wiederum geheim gehalten werden musste, so dass der erste Kanzler der Republik über den Grad der politischen Unbeweglichkeit nur ungefähre Auskunft gab. Die Rede von der Freundschaft war die damalige Rhetorik der Beschwichtigung der tiefen Nachkriegs-Beschämung und der politischen Abhängigkeit; zuerst gab es die deutsch-französische Freundschaft, dann die amerikanischen Freunde; die adressierten politischen Kollegen nahmen das Beziehungsangebot der Beschwichtigung freundlicherweise auf - und verfolgten ihre Interessen. John F. Kennedy hatte mit seinem (für mich sehr) rührenden Eingeständnis der Solidarität - ich bin ein Berliner - die westdeutsche Bedürftigkeit und Scham-Bereitschaft getroffen. Aber man darf die politische Rhetorik und die damit transportierten Fantasien gegenseitig geteilter Sympathie (Charles DeGaulle und Konrad Adenauer als unser erstes - vermeintliches - Politiker-Freundespaar) nicht mit einem privaten Kontakt verwechseln. Politische Beziehungen verhandeln ein besonderes Geschäft; sie sind Interessen-geleitet, taktisch und strategisch vorbereitet und wahrscheinlich nur, wenn es um das Wetter oder ähnlich delikate Sachverhalte geht, spontan.

Deshalb fällt mir schwer, an die Echtheit der spontanen Empörung unserer Kanzlerin zu glauben. Nach meiner Lesart versuchte sie, in der Mitte der Woche der Empörung dem SPIEGEL und dessen Montagsausgabe zuvorzukommen, der mit der Nachricht vom Abhören der Kanzlerin seinen Punkt zu machen suchte. Angela Merkel scheint mir unsere Protagonistin der Treuherzigkeit zu sein - häufig dazu gut, die kritischen Momente wegzubügeln mit dem Propagieren der Normalität: während in Fukushima die Atommeiler barsten, waren unsere Anlagen sicher - sonst würde sie ja ihren Amtseid verletzen, sagte sie; war der bayrische Baron zwar kein Wissenschaftler, aber ein tüchtiger Minister; war es gut, dass Osama bin Laden exekutiert wurde; hatte sie nichts von der fleißigen N.S.A. gehört. Mit Martin Landau aus dem grandiosen North by Northwest von Alfred Hitchcock mit dem Drehbuch von Ernest Lehman könnte man sagen: Treuherzigkeit - neatness hieß die Vokabel im Film - "is always the result of deliberate planning".

Sollte sie wirklich nicht wissen, was U.S.-Behörden tun? Sollte sie nicht wissen, dass die Alliierten in dem besetzten Land Bundesrepublik Deutschland  das Recht zur Spionage hatten oder haben? Wir wissen es nicht, weil noch nie eine bundesdeutsche Regierung darüber informiert hat.  Sollte sie noch nie etwas von  Josef Foschepoths Arbeit "Überwachtes Deutschland. Post- und Telefonüberwachung in der alten Bundesrepublik" gehört haben? Sollte sie wirklich nicht wissen, was unsere Geheimdienste machen? Sollte sie nicht wissen, was die Briten machen? Sollte sie noch nie ein Foto der riesigen Anlagen gesehen haben, die von weitem aussehen wie Golfbälle und von den Engländern in North Yorkshire so genannt werden? Seit den 70er Jahren ist bekannt, dass Großbritannien alle transatlantischen Gespräche von Europa in die U.S.A. abhört. Wenn ich mich richtig erinnere, war damals die Aufregung in England gering. Heute sind die CCTVs in London eine Selbstverständlichkeit. Im vorletzten Bourne-Film von Paul Greengrass sah ich, wie der U.S.-Geheimdienst sich blitzartig die Monitore zuschalten lassen kann.

Angela Merkels Einsatz der Strategie der Treuherzigkeit ist natürlich erschlossen. Aber nehmen wir an, sie existiert: dann besteht ihre Kunst  in der Erzeugung eines familiären Tonfalls und im Gebrauch familiärer vertrauter Metapher. Offenbar ist sie doch erfolgreich. Denn inzwischen gibt es journalistische und psychoanalytische Kommentatoren des politischen Geschehens, die die (strategische) familiäre Heimeligkeit der Bundeskanzlerin als unsere Wahrnehmung der Bundeskanzlerin lesen, der wir als unsere fantasierte und sehr gewünschte Groß-Mutti bereitwillig folgen - und nicht als Politik-Nebel des Bundeskanzleramtes, das uns mit Absicht im unklaren lässt. Ich wünsche mir eine Regierungschefin, die weiß, was läuft, und die sagt, was läuft.


(Überarbeitung: 10.8.2021)


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