Dienstag, 3. Juni 2014

Wie schläft der Schlaf?

Wir wissen es nicht.

Werner Bartens von der SZ schrieb dazu den Text mit den Überschriften: "Früh ins Bett? Schlaf weiter. Viele Alltagsweisheiten über die Nachtruhe sind falsch" (2.6.2014, Nr. 125, S. 16). Was wissen wir über den Schlaf? Ohne Schlaf kommen wir nicht aus; werden wir krank. Schlafen wir schlecht, hängen wir am Tag durch; möglicherweise werden wir krank. Im Schlaf - so lassen sich die von Werner Bartens aufgelisteten Bilder verdichten - reparieren wir dies und das.

Zitat-Beispiele. "Denn im Schlaf leistet der Körper zahlreiche Ausbesserungsarbeiten an Zellen und Organen". Der Körper. "Im Tiefschlaf werden zudem Wachstumshormone ausgeschüttet, die bei Kindern das Längenwachstum und die Organentwicklung anregen". Im Tiefschlaf. Müsste man nicht sagen: während des Tiefschlafs? Anderenfalls wird der Schlaf (oder Tiefschlaf)  als ein Ort oder als eine Art Raum konzipiert, bei dem wir uns fragen müssen: wie können wir ihn uns vorstellen? "Auch das Immunsystem erholt sich im Schlaf und bereitet sich auf neue Abwehraufgaben vor". Ob der Schlaf seine Heinzelmännchen zu mobilisieren imstande ist? Er kann noch mehr. "Durch den Schlaf gewinnen wir eine neue Sicht auf Probleme", wird ein Fachmann zitiert, "im Wachzustand, so die Vermutung, werden Gedächtnisinhalte im Hippocampus abgelegt, einer Art Zwischenspeicher im Mittelhirn. Erst im Schlaf werden sie an bereits bestehende Gedächtnisinhalte in der Großhirnrinde angepasst". Der Fachmann wird erneut zitiert: "Der Hippocampus hält die Kopie bereit, die im Langzeitgedächtnis verankert wird". Enorm. Wer wohl die Kopie im Hippocampus gesehen hat? Zudem ist sie woanders noch verankert. Bilder über Bilder (s. meinen Blog "Der Koch kocht in der Küche" vom 5.2.2014); der Schlaf arbeitet wie mein notebook, das ich morgens mit einem gefüllten Papierkorb starte. Ein anderer Fachmann wird zitiert: "Auch wenn die psychische Belastung durch Schlafentzug überwiegt, sind langfristig die körperlichen Folgen gravierender". Das ist doch ein Wort der Klarheit.

Weshalb schlafen wir? Um uns zu erholen. Wer sich an seine Jugend erinnert, erinnert vielleicht das Grundgefühl der Verfassung nach einem guten Schlaf - das wir als erfrischt beschreiben; manche sagen auch: wie neugeboren. Je älter wir werden, um so seltener hinterlässt der Schlaf diese Wirkung. Wenn ich einigermaßen durchschlafe, bin ich froh. Erfrischt wache ich ganz selten auf. Während wir schlafen, sind wir mit unserer Existenz beschäftigt. Schlafen zu können ist eine komplizierte Fähigkeit, die damit beginnt, dass wir uns trauen, uns in unseren Schlafzustand zu bewegen und uns ihm zu überlassen. Schlafen birgt offenbar ein Geheimnis - weshalb wir vom Schlaf wie von einem handelnden Subjekt sprechen.  Freuds Wort vom Traum als dem Hüter des Schlafs ist noch immer unübertroffen. Der Schlaf ist unsere gefürchtete Existenzform. Um sie zu verstehen brauchen wir kein Neuro-Mumbo-jumbo.

Neulich fand ich den Begriff bedtime procrastination: das Aufschieben der Schlafenszeit - in Betsy Morais' Blog What keeps you up at night? The New Yorker vom 16.6.2014. Es ist für Viele, wie gesagt, offenbar nicht einfach, sich schlafen zu legen.

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