Montag, 16. Juni 2014

Die Zähigkeit des öffentlichen Fantasierens

Es gibt die öffentliche Diskussion; es gibt das öffentliche Fantasieren. Es ist schwer zu trennen; häufig vermischen sich beide Kontexte. Vielleicht funktioniert die öffentliche Diskussion ohne das  Fantasieren nicht; wahrscheinlich gehört Beides zusammen. In der SZ erschien am 12.6.2014 auf ihrer Seite Drei der (sehr lesenswerte) Text von Holger Gertz: "Franz Wurst". Damit ist Franz Beckenbauer und seine in der Öffentlichkeit präsentierte Wurschtigkeit gemeint - mit der er regelmäßig durchkam und gegenwärtig nicht durchkommt beim Fifa-Chefermittler Michael Garcia. Holger Gertz beschreibt
die vielen Male, als Franz Beckenbauer durchkam mit seiner wegwerfenden Geste des Was soll's? Ist mir schnuppe. "Das schafft nur, wer frei von Angst ist", sagt Holger Gertz bei einem Beispiel. Das schafft nur, möchte ich korrigieren, wer weiß, dass ihn ein Konsensus trägt - mit Mut hat das gar nicht so viel zu tun. "Mut", schrieb Ludwig Marcuse in seiner Autobiographie "Mein 20. Jahrhundert": "ist nur daran zu messen: wen man und wen man nicht auf seiner Seite hat".

Am Abend der Niederlage in Wien, am 29. 10. 1986, als der italienische Schiedsrichter Luigi Agnolin zwei Elfmeter gegen die bundesdeutsche Mannschaft gab und Lothar Matthäus vom Platz verwies, wütete Franz Beckenbauer: "... und dann hatte der Schiedsrichter seinen Varieté-Auftritt gehabt und zwei Elfmeter gegeben, die natürlich keine waren. Ich bin nicht einer, der einen Schiedsrichter verurteilt, aber in diesem Fall muss ich sagen, das geht mit zu weit. Wenn ein Schiedsrichter so bedenkenlos herumfuhrwerkt wie dieser Agnolin aus Italien, dann kann ich nur sagen, dass dieser schnellst möglich aus dem Verkehr gezogen werden muss. Denn dieser Mann ist gemeingefährlich".  Soweit ich weiß, wurde der damalige Fußball-Teamchef wegen dieser Unsportlichkeit nicht behelligt.

1974 war Franz Beckenbauer weltmeisterlicher Fußballer, 1990 coachte er die bundesdeutsche Mannschaft zum Weltmeister - zwei Riesen-Leistungen für unsere narzisstische Hygiene. Das wird ihm nicht vergessen. Zum Kaiser wurde er in den 80er Jahren idolisiert: als der öffentliche Protagonist des ersten Einfalls, der in die Fettnäpfchen tritt, ohne sich schämen zu müssen - der Mann mit dem riesigen Kredit, den normalerweise Jungens bei ihren hingebungsvollen Müttern haben. Und jetzt ist es wieder ein Demokratie-bewusster Nordamerikaner, der von dem 69-Jährigen Erwachsenheit verlangt. Er wird sich dazu bequemen müssen. Ich bin gespannt, was aus seiner öffentlich präsentierten Jungenhaftigkeit wird. Immerhin können wir jetzt langsam realisieren, dass Franz Beckenbauer auch eine Firma mit einem Management ist - dieser Junge ist offenbar gar kein Junge.       

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