Dienstag, 3. Juni 2014

Der Fußball, das Geschäft und der Kampf gegen die Angst

Am vergangenen Sonntag, dem 1. Mai 2014, saßen bei Günther Jauch im Studio: Claudia Roth, Jens Lehmann, Peter Lohmeyer, Béla Réthy und Edmund Stoiber. Zuvor war das vorletzte Testspiel der bundesdeutschen Fußball-Nationalmannschaft mit dem Unentschieden 2:2 gegen Kamerun zu Ende gegangen. Das Spiel wurde nicht diskutiert, wohl das Geschäft um und mit dem Fußball. Hat es Einfluss auf die Spieler? Jens Lehmann sagte: nein. Die Spieler seien daran gewöhnt und darauf trainiert, sich auf den einen Punkt zu konzentrieren: auf das jeweilige Spiel. Sie müssten liefern, sagte er. Nur gravierende Lebensereignisse würden zugute gehalten. Das fand ich erstaunlich. Geht das? Was ist mit den riesigen Erwartungen vom Sieg der Weltmeisterschaft, die das Geschäft befeuern und vom Geschäft gepflegt werden? Wie wird man als Spieler damit fertig? Es geht, ließ Jens Lehmann anklingen.

Kurz vor dem Ende der Qualifikationsrunde (für die Fußballweltmeisterschaft in Brasilien) schien der aussichtsreichste Favorit fest zu stehen. Dann kam der 16.10.2012 - der Tag des Unentschiedens gegen die schwedische Nationalmannschaft. Zwei Drittel des Spiels brillierten die Bundesdeutschen; sie führten 4:0. Dann drehten die Schweden das Spiel um. Der erste Gegentreffer machte das Spiel (in meiner Lesart) zu einem Kampf gegen eine mächtige Angst; sie kam so plötzlich wie eine Panikattacke; es gab keine Beruhigung, kein Gegenmittel; glänzende Fußballer spielten auf einmal keinen Fußball mehr. Das Spiel der bundesdeutschen Fußball-Sportler zerfiel.

Gegen Kamerun zerfiel das Spiel nach zehn Minuten. Drei gute Chancen misslangen. Es sah so aus, als  würde das Team sich von den Kränkungen des Scheiterns nicht erholen. Das Zuspiel misslang; die Pässe verfehlten die Adressaten. Fußball ist ein äußerst schwieriger Sport; motorische und kognitive Koordination wie affektive Regulation stellen hochkomplexe Anforderungen;  es kommt auf Sekundenbruchteile und auf Zentimeter an. Ein Spieler muss in seinem Spiel aufgehen und aufleben, das Gefüge der Mannschaft muss jeden tragen. Ist dieser Abstimmungsprozess gestört, bereitet sich nach und nach eine Lähmung aus; dominiert sie als Gruppengefühl, missglückt das Spiel und das Risiko für Verletzungen wächst.

Verletzungen sprechen von Prozessen regulativer Überforderung. Im nicht so sportlichen Alltag kennen wir die Verspannungszustände mit den unklaren, weil nicht identifizierbaren Schmerzen. Mario Götze verletzte sich im Kontext der Auseinandersetzungen um seinen Wechsel von Borussia Dortmund zum FC Bayern München und dessen seltsam platzierter, zeitlicher Bekanntgabe; er fiel für seine alte Mannschaft im europäischen Wettbewerb aus (s. meinen Blog "Fußball-Theater II" vom 21.5.2013). Diese Genese seiner Verletzung ist hier natürlich vermutet. Sein Spiel wirkt seither vorsichtig. Die regulativen Fähigkeiten unserer Spieler wirken ausgereizt. Ob sie jenseits des Geschäfts wieder zum Spiel finden, erscheint fraglich. Dass in der TV-Sendung das Geschäft verteidigt (vor allem vom Vorstandsmitglied Edmund Stoiber und von Uli Hoeneß in einem eingespielten Film-Ausschnitt) und die Not der komplexen Regulationen ausgeblendet wurden, war kein gutes Zeichen.



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