Dienstag, 27. Mai 2014

Nachklänge

Wenn ich mich morgens an meinen Schreibtisch setze, arbeitet die Zeitungslektüre (der SZ) in mir weiter; manchmal mehr, manchmal weniger. Heute Morgen (am 27.5.2014):
1. Streiflicht-Spott über Giovanni di Lorenzo, den Chefredakteur der Zeit, der vergangenen Sonntag
zweimal zur Wahl gegangen war: im italienischen Konsulat und in einer Hamburger Grundschule, so die SZ. In der A.R.D.-Sendung mit Günter Jauch hatte er es gestanden oder eingeräumt, wie man will. Es sei ihm nicht bewusst gewesen.
2. Ein Sozialarbeiter war vom Amtsgericht Leipzig zu einer Geldstrafe von 3600 Euro verurteilt worden wegen des Vorwurfs der fahrlässigen Tötung durch Unterlassen (S. 10). Die 26-jährige Mutter eines zweijährigen Kindes verstarb an einer Überdosis, während ihre Tochter neben ihr verdurstete.
3. Die Arbeitslosigkeit greift tief in die Lebensformen der Ausgeschlossenen ein: sie rauchen mehr, trinken mehr, sterben früher und öfter unter psychischen Krankheiten, schreibt Guido Bohsem, der Autor dieses Textes im Wirtschaftsteil (S. 17). Weiter: "Wissenschaftler des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW) haben nun herausgefunden, dass auch die Gesundheit der Partner deutlich in Mitleidenschaft gezogen wird und somit die persönlichen und gesellschaftlichen Kosten höher sind als bislang gedacht".
4. Eine 17-jährige Frau hat mit einer Art Textilseil aus Gürteln, Bettlaken und Kleidern aus dem achten Stockwerk eines Hochhauses dem verordneten Hausarrest zu entgehen versucht; aus 25 Metern schlug sie auf dem Betonboden auf und verletzte sich schwer (S.10).
5. Auf der Seite Wissen (S. 16) referiert Werner Bartens eine Studie der Ärzte der Universität von Pennsylvanien, nach der pubertierende Jugendliche eine geringere Durchblutung ihrer Gehirne aufweisen, Jungen stärker als Mädchen. Der Leiter der Studie, der Psychiater Theodore Satterthwaite, wird zitiert: "Alle Eltern wissen, dass Jungen und Mädchen auf unterschiedliche Weise erwachsen werden... unsere Ergebnisse zeigen, wann die Unterschiede im Gehirn beginnen, und vielleicht können wir daraus ableiten, welche Entwicklungsschritte in welchem Alter typisch sind".
6. Der Chef der United Kingdom Independence Party (Ukip), Nigel Farage, der bislang seine großmundige Politik mit einem Pint Bitter (für die Fotografen) begleitete, trinkt nach seinem Wahlerfolg aus einem Pappbecher - Tee (S.3).
7. Die Front Nationale ist mit 25 Prozent als stärkste französische Partei aus den Europawahlen hervorgegangen (S. 7).
8. Das Interview mit der nigerianische Schriftstellerin Lola Shoneyin, das Stefan Klein mit ihr führte (S. 13). "Wie eine riesige Dose voller Würmer", wird sie in der Überschrift zitiert. Die Unter-Überschrift: "Die Schriftstellerin Lola Shoneyin lebte in England. Und in Sicherheit. Dann kehrte sie nach Nigeria zurück. Ein Gespräch über ein Land, in dem 300 Mädchen entführt werden - und nichts passiert".

Disparate Nachrichten zu unterschiedlichen Kontexten zu unserer Lebenswirklichkeit, unterschiedlich (hier und da) in der SZ präsentiert und von mir in (in meiner Orientierungssuche) als ein erdrückendes Narrativ gelesen, das vom alltäglichen, verrückten (moralischen, psychosozialen, wissenschaftlichen und politischen) Elend handelt. Das globale Dorf ist eine hübsche Idee, aber vertreibt nicht das Gefühl von enormer Hilflosigkeit.


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