Montag, 5. Mai 2014

Die Kostümierung des Hasses

Am letzten Dienstag, den 29.4.2014, zogen Annette Ramelsberger und Tanjev Schultz in der SZ (Nr. 98, S.2) Bilanz: "Das Mord-Mosaik". Die Unter-Überschrift: "Nur in kleinen Schritten geht der Prozess voran. Weil die Hauptangeklagte so beharrlich schweigt, muss die Verbrechensserie des NSU mühevoll rekonstruiert werden. Erst dann kann ein Urteil fallen". Die Beschuldigte Beate Zschäpe schweigt; die Tatumstände müssen indirekt (durch Zeugenaussagen und Indizien) erschlossen und rekonstruiert werden, um die Vorwürfe zu belegen. Das stellt sich in diesem Verfahren als besonders schwierig heraus, weil nicht nur die Beschuldigte auf ihrem Recht besteht, sondern auch die anderen relevanten Zeugen, die angesichts ausstehender Verfahren sich nicht belasten und deshalb keine genaue Auskunft geben müssen. Diese Komplikationen beschreibt der SZ-Text ordentlich. Allerdings finde ich den selbstverständlichen Gebrauch des Akronyms NSU seltsam: von ihm und vom NSU-Prozess ist mehrfach die Rede.

Mit NSU sind nicht die seit langem vom Markt verschwundenen Fahrzeuge aus Neckarsulm gemeint (die drei Buchstaben dieses Orts bildeten dieses Akronym), sondern der so genannte nationalsozialistische Untergrund. Ich wüsste gern, wer diesen Ausdruck in die Welt gesetzt hat und wie es dazu kam, dass sich die drei Buchstaben in unserer öffentlichen Diskussion festsetzten. Es ist mir entgangen.  Wir wissen: damit sind Beate Zschäpe, Uwe Böhnhardt und Uwe Mundlos gemeint. Die waren in Erfurt-Winzerla bekannt; die beiden Uwe genossen Anfang dieses Jahrhunderts offenbar in selbst geschneiderten Uniformen der alten Herren von der Schutzstaffel ihren Auftritt in Schwarz als eine Art elektrisierender Provokation, mit der sie ihren Hass zur Schau stellten.

Heute wissen wir: ihr Hass war mörderisch. Wem galt er? An wen war er adressiert? Das wissen wir nicht. Wir kennen nur die Opfer seiner Projektion (s. mein Blog vom 11.1.2012 und vom 7.11.2012 ). Der Nationalsozialismus der Jahre 1933 - 1945 existiert nicht mehr. Es leben allerdings weiter: die Vergnügen der Erinnerung an seine Hass-Rhetorik, an seine Macht-Auftritte, vor allem in Schwarz (schwarze Karossen, schwarzes Tuch und schwarzes Leder), an seine Mord-Orgie. Die Artikulation oder Inszenierung der Bilder dieser Hass-Rhetorik ist verboten; weshalb sie außerhalb unserer Öffentlichkeiten gepflegt wurde und möglicherweise gepflegt wird. Müssen wir deshalb einen nationalsozialistischen Untergrund vermuten? Das Kostüm gibt keine Auskunft über die innere Welt dieses Hasses; wir kennen seine Identifizierungen nicht. Die Formel suggeriert ein Verständnis. Wir wissen nicht, welche Gemeinsamkeiten diese Gruppe verband. Ihr Hass ist unverstanden. Wir kennen nur dessen Kostümierung und die von den Anstrengungen der Ermittlungsbehörden ausgeschlossenen Opfer. Auf seltsame Weise wird der Nationalsozialismus am Leben gehalten. Das macht nicht klug, sondern blind.

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