Mittwoch, 14. Mai 2014

Politik-Lektüre

Am vergangenen Freitag, dem 9. Mai 2014, veröffentlichten Michael Bauchmüler  und Christoph Hickmann auf der Seite Drei der SZ (Nr. 106) ihren langen Text "Wer wird denn gleich in die Luft gehen? Sigmar Gabriel kann sich plötzlich beherrschen. Über einen Mann, der mit aller Macht mehrheitsfähig sein will - und damit kanzlerfähig". Der Text ging mir nach; er beschäftigte mich ein paar Tage.

Sigmar Gabriel, Bundesminister für Wirtschaft und Umwelt, überrascht die Autoren: er wäre anders als sonst. Im Kreis seiner internationalen Kollegen plädiert er - im Kontext der Frage der Sanktionen gegenüber Russland - für Nachdenklichkeit. Er pflege, wie sie schreiben, die Selbstbeherrschung. Im Kabinett wurde seine Geduld beobachtet. Er realisiere, bilanzieren sie, eine geräuschlose Politik. Aber, so geben sie zu bedenken, "bleibt die Sache mit dem Image" - Gabriels Bild vom Halodri und vom politischen Gebrauchtwagenhändler. Das Bild, folgern sie, wird an ihm kleben bleiben; das kriegt er nicht weg; seine Absicht, sich als kanzlerfähig zu bewähren, wird er schwerlich realisieren.


Michael Buchmüller und Christoph Hickmann legten ihre Lektüre politischer Prozesse vor. Geräuschlose Politik ist die Formel ihrer Selbst-Beschreibung als ausgeschlossene Beobachter politischer Prozesse. Wir kriegen nichts mit, lautet der Subtext ihrer klagenden Bedenken. Wie kompensierten sie ihren Nachteil? 1. Durch Personalisierung: der politische Prozess wurde in einem Protagonisten verdichtet. 2. Die öffentliche Präsentation des Protagonisten wurde ausgewertet und psychologisiert. 3. Das öffentliche Bild der Selbst-Präsentation wurde als (inneres) Strukturmerkmal verstanden und extrapoliert. Einmal  Gebrauchtwagenhändler, bleibt man wahrscheinlich Gebrauchtwagenhändler. 4. Die Macht, die das öffentliche Amt bereit stellt, galt als das entscheidende, vermutete Motiv. Aber: 1. Die Psychologie des öffentlichen Bildes enthält eine naive Erkenntnistheorie, nach der die Auswertung der Selbst-Präsentation einen raschen Einblick in die innere Welt des Beobachteten gestattet; sie folgt der Prämisse und dem Erfassungstrend, man könnte seelische Bewegungen sehen (mit dem bloßen Auge oder mit irgendwelchen Apparaturen; beliebt ist die Röhre mit dem komplizierten Namen). 2. Der Fokus auf den vermuteten Protagonisten politischer Prozesse blendet die Prozesse, deren Substanz und deren Strukturen (Beziehungsrealiäten, Gruppierungen, Hierarchien, Funktionen, Abläufe) aus.

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