Freitag, 7. August 2015

Vive la confusion!

Das Jahr 1962, international ein turbulentes Jahr (Kuba-Krise), war in der Bundesrepublik das Jahr des Protests. Im Februar wurde auf den Oberhausener Kurzfilmtagen das Nachkriegskino für erledigt erklärt ("Opas Kino ist tot"). Im Oktober, nach dem Erscheinen des SPIEGEL-Hefts vom 10.10. mit dem die Bundeswehr beschreibenden Titel Bedingt abwehrbereit, entstand der öffentliche Aufruhr um den Kuddelmuddel der Legislative und der Exekutive, die sich in der später so genannten Spiegel-Affäre mächtig vergriffen - die Redaktion des SPIEGEL wurde durchsucht, Unterlagen beschlagnahmt, die leitenden Redakteure in Haft genommen - und Ämter- und Gesetzes-Grenzen verletzten. Beteiligt waren: das Bundeskanzleramt, das Verteidigungsministerium, der Bundesnachrichtendienst, die Bundesanwaltschaft, der Bundesgerichtshof. Öffentlich gestritten wurde um das Institut der Pressefreiheit. Beabsichtigt war von der konservativen Regierung: die Beseitigung lästiger öffentlicher Kritik. 1962 war das Jahr des Endes der bundesdeutschen Karriere von Franz-Josef Strauß und der Beginn des Endes der Kanzlerschaft Konrad Adenauers.

Jetzt im August 2015 sind beteiligt: Netzpolitik.org, das Bundeskanzleramt, das Bundesjustizministerium, das Amt für Verfassungsschutz, die Bundesanwaltschaft.  Jetzt wird nicht gestritten um das Gut der Pressefreiheit. Beabsichtigt war: eine schlechte Presse zu vermeiden. Jede Erinnerung an 1962. Daran wurde natürlich längst erinnert . Aber 1962 ist wirklich weit weg. Das wäre, könnte man sagen, zuviel Substanz im diesjährigen August-Theater. Jetzt sollte der Eindruck vermieden werden, bundesdeutsche Behörden gingen einen Schritt zu weit. Das Kölner Amt stellte eine Anzeige gegen Unbekannt und damit gegen die eigenen Leute; unabhängig von der Anzeige wollte die Bundesanwaltschaft ermitteln gegen den Verdacht des Landesverrats. Eine Anzeige, ein Verdacht: schon reagiert unsere Regierung panisch und mischt sich ein und diskreditiert ihre Beamten. Nun ja, das kennen wir: für den Macht-Erhalt und für die weiße öffentliche Weste ist nichts zu teuer. Kopf-Einziehen, das Gegenteil behaupten, feuern. Eine alte psychoanalytische Faustregel - die auch hier zu gelten scheint - lautet: das Abgewehrte und die Abwehr liegen beieinander. Wer etwas zu vermeiden sucht, macht aufmerksam auf das, was er zu vermeiden sucht: die eigene Kopflosigkeit angesichts der offenbar gravierenden Ängstlichkeit. Wer ist wohl der Ängstlichste oder die Ängstlichste in der Regierung? Wir werden sehen.

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