Dienstag, 18. Oktober 2016

Journalismus-Lektüre XXXXIII (Beobachtung der Beobachter): Achtung: Fallen-Sucher!

"Psycho-Falle" nennt Christian Geyer heute in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung (18.10.2016, S. 11, Nr. 243) das Problem des sächsischen Justizministers Sebastian Gemkow, der auf die Psychologin im Leipziger Strafvollzug hereingefallen wäre, weil er deren Einschätzung eines nicht akuten Impulses zur Selbsttötung folgte und sein Rechtsverständnis der Verhältnismäßigkeit  in der ARD-Sendung Anne Will vertrat.

Die "Psycho-Falle" ist keine Falle - auch nicht, wenn er schreibt: "Die prognostische Kraft, die dem Psychologenwort hier von rechtspolitischer Seite zugesprochen wird, hat etwas zutiefst Verstörendes". Man muss den Satz mehrmals lesen. Das Psychologenwort - mit der Anspielung an das Wort Gottes - trieft von Ironie und Unkenntnis. Das Psychologenwort ist nicht das letzte Wort: es ist im Kontext der JVA eine Einschätzung und eine Handlungsempfehlung - der Leiter der JVA muss ihr nicht folgen; der Justizminister auch nicht. Das Psychologenwort ist auch nicht nur ein vielleicht schnell gesagtes Wort, sondern sollte der nach einem bewährten Konzept in einem gründlichen diagnostischen Prozess gewonnene, verdichtete Befund sein. Seine Plausibiliät und Reichweite sind dann zu prüfen (s. meinen Blog zur Frage der Einschätzung des Impulses zur Selbsttötung vom 14.10.2016). Was ist dann das zutiefst Verstörende?

Die empörte Gespreiztheit (zutiefst) und die Unkenntnis des Autors hinsichtlich psychologischer Verfahren, ihrer Konzepte und Grenzen - sprachlich grell geschminkt mit dem Puder der Betroffenheit.

Er schreibt weiter:
"Worum es geht, ist die systemische Frage nach dem autoritativen Rang von psychologischen Stellungnahmen in juristischen Prozeduren, eine Frage, wie sie auch in der Gutachterdebatte zur Schuldfähigkeit immer wieder aufflammt".

Eine Frage, die aufflammt, ist eine schöne Frage. Aber gehen wir diesen Satz durch. Der autoritative Rang ist Dicke-Tun. Der Status der psychologischen Gutachterin oder des psychologischen Gutachters ist geregelt: sie oder er leistet dem Gericht Hilfe; die Richter sind verpflichtet, die Plausibilität eines Gutachtens - das mehr ist als eine Stellungnahme - zu prüfen und sich ein eigenes Bild zu machen. Die Anforderungen an ein Gutachten liegen fest; allerdings erfüllen nicht alle Gutachterinnen und Gutachter diese Qualitätsmerkmale. Darüber habe ich hier mehrmals etwas gesagt (s. meine Blogs vom 3.2.2015 und 18.8.2014). Die juristischen Prozeduren, die der Autor mit spitzen Fingern in seinen Rechner tippte und so dem Fachausdruck aus dem Weg ging (vermute ich), heißen Erkenntnisverfahren, in denen die Frage der Schuldfähigkeit geprüft wird.

Was lernen wir? Wer Fallen sucht, muss gut aufpassen. Und die Redaktion muss auf ihren Fallen-Sucher aufpassen. 

(Überarbeitung: 14.12.2016)

  

  

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