Mittwoch, 23. August 2017

Der Bluff mit der nicht intelligenten Intelligenz

Der Bluff hat einen salonfähigen, respektablen und - wenn man an die Forschungsgelder denkt, die er wie ein Riesen-Staubsauger anzieht - teuren Namen: künstliche Intelligenz. Zugegeben: der Begriff der Intelligenz wird inflationär gebraucht. Was sie ist, ist schwer anzugeben. Selbst die Forscher, die mit ihren Messverfahren, die sie Tests nennen, bescheiden messen  - sie verteilen Rangplätze, aber keine äquidistanten Abstände, so dass niemand genau sagen kann, was einen Intelligenzquotienten von 100 Punkten von  einem Intelligenzquotienten von 101 Punkten unterscheidet - , haben sich auf die schlichte, korrekte Aussage verständigt: Intelligenz ist, was Intelligenztests messen.

Natürlich kann man mehr sagen. Intelligenz ist das Merkmal des Lebendigen. Intelligenz ist die Fähigkeit, etwas zu erfinden. Kann ein Rechner etwas erfinden?  Kann ein Rechner, was ein Kleinkind kann - eine selbstverständliche Leistung eines Kleinkindes - , in einem Bauklotz eine Lokomotive erkennen? Nein. Er muss alles gesagt kriegen. Er kann nicht  erfinden. Er kann rechnen und rechnen und rechnen. Er kann Häufigkeiten nach bestimmten Regeln sammeln und sie verklumpen und abermals verklumpen und abermals verklumpen nach bestimmten Regeln (zu Verdichtungen von korrelierten Häufigkeiten) - organisiert von einer Hierarchien von Algorithmen, die sammeln und sortieren. That's it. Das können natürlich Rechner perfekt. Das können wir nicht. Wir sind keine Maschinen.

Deshalb können wir den Rechnern auch nicht viel zutrauen. Sue Halpern machte ein Experiment und ließ sich ihre Identität nach den von Facebook registrierten Likings  bestimmen. Sie erkannte sich nicht wieder (New York Review of Books, 22.12.2016, Nr. 20, S. 32 - 34: They Have, Right Now, Another You). Herauskam, dass ein Facebook-Algorithmus nach den eingegebenen Vorgaben sortiert: wer beispielsweise die New York Review of Books liest, wird als weiblich und lesbisch verrechnet und sortiert, wer eine technische Zeitschrift liest, als männlich. Mit anderen Worten: in die Sortierregeln eines Algorithmus gehen die Vorannahmen, Vorurteile, Klischees, Ressentiments u.s.w.  seiner Erfinder ein. Die Annahme objektiver Daten-Verarbeitungen ist naiv - sie sind mehr oder weniger höchst  unkontrolliert subjektiv.

Jetzt berichtet Sibylle Anderl in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung (23.8.2017, S. 9, Nr. 195) über die Computer-errechneten Fehlleistungen: bei dem Erkennnen von Pferden (deren Bilder wurden in einem Rechenverfahren erkannt nach den auf den Fotos ausgewiesenen Copyrights der Fotografen) und bei der Diagnose von Risikopatienten - da fielen Leute mit Asthma, Brustschmerzen und Herzproblemen durchs Raster des Algorithmus, weil diese Patienten offenbar häufig genug einen medizinischen Kontakt haben, so dass sie kein Risiko darstellen. Dieser schlaue Sortiermechanismus oder Algorithmus hat dämliche Folgen. Wobei das Adjektiv dämlich beim Rechner nichts zu tun hat: er ist weder schlau, noch dämlich, er tut einfach, was man ihm eingegeben hat; er ist ein - intellektuelles Nichts. 

So weit so klar. Wenn nur nicht die Journalistinnen oder Journalisten wären, die ihren Kotau vor den forschen Forschern machen und deren Spuk für einen Fortschritt ausgeben - indem sie dem, was die Rechner tun, menschliche Metapher unterlegen und damit plausibel machen:  "Besonders erfolgreich", so  Sibylle Anderl, "sind dabei künstliche tiefe neuronale Netzwerke. Sie bestehen nach biologischem Vorbild aus mehreren Schichten miteinander verbundener künstlicher Neuronen". Wie das? Wie kann man eine Maschine nach menschlichen Prinzipien nachbauen? Nach biologischem Vorbild. Wie neuronale Netzwerke funktionieren, weiß keiner  richtig. Aus heuristischen Gründen nehmen die NeuroNeuro-Forscher an, dass es sie gibt; mit einem Zeigestock können sie dann auf die bunten Bilder zeigen, wo es sie gibt. Ein Bluff jagt den anderen. Diese Forschung (NeuroNeuro und nicht intelligente Intelligenz) ist ein riesiges Geschäft - weshalb wir selten kritische Autorinnen und Autoren lesen können, die den Spuk einmal kräftig durchlüften.

Als erste Faustregel halte ich fest: wer mit menschlichen Metaphern operiert und sie als Verständniskontexte einschmuggelt, ist verdächtig. Leider ist keine Staatsanwaltschaft zuständig.  

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