Montag, 14. Dezember 2020

Hart, härter, halbherzig - unser pandemisches Sich-Zieren

Es fängt mit der Formel an: leichter oder harter Lockdown, härterer Lockdown. Wer diese Formel ausspricht, dem sieht man das Zieren und schlechte Gewissen an: was er oder sie einem zumutet...und wie er oder sie sich scheut. Das Durchsetzen eines Lockdowns gefällt ihm oder ihr nicht. Mich erinnert das an das gut 40 Jahre alte Zögern & Zieren angesichts der mächtigen Empörung über die Gurt- und Anlegepflicht. Nun ist, keine Frage, der Eingriff in Sachen pandemischer Begrenzung eine andere Geschichte: lähmend und niederdrückend.

Dann die Vokabel Lockdown. Wer hat sie bei uns eingeführt ? In den U.S.A. wird sie seit dem 14.12.2012 gebraucht, als sich die Schüler in ihrer Schule einschlossen, um sich vor der Mord-Absicht eines schwer bewaffneten Mannes zu schützen. Kann sein, dass die Vokabel schon früher benutzt wurde; ich habe nur grob im Archiv der New York Times nachgeschaut. Der Lockdown ist eine zum shutdown analoge Wortschöpfung. Der shutdown bedeutet: das komplette Abschließen eines Hauses, wenn man in Ferien fährt, oder das Herunterfahren einer industriellen Anlage, die dann nix mehr herstellt. Die Franzosen sagen übrigens: confinement - da ist das Einklicken eines Schlosses nicht mehr zu hören.

Gehen wir weiter. Das Reden von der Kontakt-Beschränkung ist ungenau. Kontakte sind nicht das die Infektion treibende Problem, sondern die Qualität der ihnen zugrunde liegenden Beziehungen, die im Umgang mit der Pandemie anders gestaltet werden müssen: sie müssen verfremdet werden im Dienste des Verdachts dem Bekannten oder Vertrauten gegenüber... was bedeutet: man muss sich anstrengen, sich einen Ruck geben, sich überwinden, dem oder der Anderen zu signalisieren: ich will mich vor Dir schützen, indem ich eine Distanz einnehme und meine Maske hervorkrame. Es geht um Loyalität und Verpflichtungen von Beziehungen. Wieso sagt das keiner?

Gestern, in der Rede-Runde Anne Will, am 13.12.2020, hörte ich unseren (nordrhein-westfälischen) Ministerpräsidenten Armin Laschet zum ersten Mal von einer Begegnung sprechen. Begegnung! Wunderbar! Sie ist das richtige Wort, das die Beziehungsarbeit betont. Inzwischen hat sich herumgesprochen, dass vor allem in den privaten Kontexten die Infektionen angetrieben werden. 

Das Infektionsgeschehen ist diffus, heißt es. Diffus ist lateinischer Herkunft und bedeutet: ausgebreitet. Diffus ist eine unklare Beschreibung: man weiß es nicht besser. Diffus ist Ausdruck der Not, dass ein Viertel der Infektionsketten nur nachverfolgt werden konnte - wahrscheinlich sind es heute (am 14.12.2020) noch weniger. Die Unkenntnis ist also enorm. Sie diffus zu nennen, ist nett. Früher, in den 50er oder 60er Jahren, wurde die Unkenntnis mit der Formel (hochherrschaftlich) überspielt: da bin ich überfragt. Weshalb die Physikerin - tatsächlich, eine Physikerin - Viola Priesemann seit dem Sommer x-mal empfohlen hat, mit einer weiteren Beziehungseinschränkung die Infektionszahlen so weit zu drücken, dass sie: künftig nachverfolgt werden können. Das ist ihr nüchterner Sinn (den man nicht rührselig zu beschwören braucht): zu wissen, wo die Infektionen stattfanden, so dass die grobe, undifferenzierte Intervention des so schön klingenden, aber sehr weitreichenden Lockdowns unnötig ist. 

Weshalb ist das so schwer, unserer Öffentlichkeit mitzuteilen, so dass es (fast) allen einleuchtet? Die Antwort kann man sich am Gedöns um die Anlegepflicht klarmachen. Sie war eine Einschränkung des Vergnügens am seligen Chauffieren des eigenen Automobils. Einschränkungen durchzusetzen ist schwierig. Da können wir alle ein lebenslanges Lied von singen. Wer lässt sich schon gern etwas sagen? Weshalb sich die bundesdeutschen Regierungen bislang nicht getraut haben, eine Geschwindigkeitsbegrenzung auf Autobahnen durchzusetzen. Angela Merkel, die ja immer im Wahlkampf ist, wie sie mehrfach sagte, scheut sich deshalb enorm; weshalb sie jetzt mit ihrer ganze Armlänge rudert und beteuert, wie wichtig diese in Zeiten der Covid-Pandemie  notwendige Beziehungseinschränkung ist. Während Viola Priesemann unter ihren Wiederholungen in dieser oder jener Rede-Runde ächzt und sich, wie man so schön sagt, den Mund fusselig redet. Man kann nur hoffen, dass ihr dieses Mal wirklich zugehört wird. 


(Überarbeitung: 17.12.2020)

     

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen