Mittwoch, 3. Februar 2021

Wie frei ist man, seine Meinung zu sagen?

Unser Grundgesetz formuliert im Artikel Fünf :"Jeder hat das Recht, seine Meinung in Wort, Schrift und Bild frei zu äußern und zu verbreiten". Der Artikel ist anspruchsvoll und voraussetzungsvoll. Das sagt er nicht. Er präzisiert nicht, was eine Meinung ist, bestimmt nicht deren Qualität und legt nicht den Rahmen (den Ort) der Äußerung fest. Das ist angesichts von Herrschaftsverhältnissen gut bedacht; denn damit wird die Schwelle, sich zu äußern, niedrig gelegt. So weit, so gut (Ich äußere mich hier, ohne die Geschichte der Entstehung dieses Artikels zu kennen). Emanuel Kant hat eine Meinung als eine Aussage verstanden, die zwischen dem Wissen und dem Nicht-Wissen liegt - also nicht wissenschaftlich, sondern vorwissenschaftlich begründet ist: durch individuelle, nicht verallgemeinerte Erfahrung.  Kant, so verstanden, sagt: eine Meinung ist eine etwas begründete Aussage. Das ist gewissermaßen der Normalfall unserer täglichen Kommunikationen und Diskussionen; unser Nicht-Wissen ist immens,weshalb wir uns mit tastenden Beiträgen begnügen müssen. Eine Meinung ist, psychologisch/soziologisch verstanden, eine interaktive Kommunikation; sie sucht eine Antwort:  sie ist adressiert und auf jemanden bezogen, sucht den Anschluss und gehört in die interaktiven Kontexte sich gegenseitig abstimmender, differenzierender oder korrigierender Diskussionen. 

Das Internet startete mit dem unausgesprochenen Vertrauen in interaktive Kommunikationen. Was ist, wenn diese Kultur nicht mehr funktioniert (in grenzenlosen Internet-Foren) oder nicht mehr gilt (in korrumpierten Kommunikationen)? Was ist,  wenn eine als Meinung geäußerte Aussage desinteressiert ist an Wahrhaftigkeit, Anschluss, Austausch und Antwort? Was ist, wenn eine als Meinung geäußerte Aussage nur Zustimmung, Vergewisserung, Verschmelzung, Macht, aber keine Differenzierung erwartet. Nachfragen, Skepsis, Kritik sind unerwünscht. Sind das Meinungen? Können sie als Meinungen gelten? Was ist, wenn diese gewissermaßen Interesse-betonierten Äußerungen (an kommunikativen Interaktionen desinteressiert)  durchgehen, sich behaupten und durchsetzen?

Die Antwort ist schwierig. Sie müsste gründlich diskutiert werden. Unser Strafgesetzbuch hat die strafrechtlichen Grenzen für die Meinungsfreiheit festgelegt. Wäre Donald John Trump bei uns mit seinen twitter durchgekommen? Womöglich. Es wäre ein endloses Ringen um den für jeden twitter zu bestimmenden Straftatbestand geworden - eine unlösbare Aufgabe bei über 30.000 twitter. War deshalb  der Eingriff der U.S.-Internet-Konzerne, Donald Trump den Zugang zu ihren Plattformen zu verweigern, so fragwürdig? Nein. Jede Zeitung wählt bei uns die Leserzuschriften zur Veröffentlichung aus. Es gibt kein Recht zur Veröffentlichung. Im Internet gibt es aber jetzt für jeden von uns die Möglichkeit der Veröffentlichung einer Äußerung. Die strafrechtlichen Grenzen liegen weiterhin für uns fest. Aber niemand muss die eigene Identität angeben. Wäre das nicht eine Voraussetzung für die Freiheit der Meinungsäußerung? Auch das müsste gründlich diskutiert werden. Inwieweit verträgt der öffentliche Protest eine Maske? Müsste gründlich diskutiert werden. 

Mehr  als ihren Hauruck- oder Haudrauf-Kollegen im Oval Office  am Anfang von dessen Amtszeit 2017 an unsere Werte zu erinnern und zu mahnen, traute sich Angela Merkel nicht. Jetzt widersprach sie einer Zustimmung zur Politik der Internet-Konzerne, die längst überfällige rote Karte zu ziehen.  Das ist zu einfach. Was wir von der letzten U.S.-Präsidentschaft gelernt haben: Auf allen Ebenen musste Donald Trump mit den zur Verfügung stehenden Mitteln begrenzt und eingegrenzt werden.Was lernen wir noch? Donald John Trump ist der Protagonist einer Kommunikation der Einschüchterung mit der Absicht der Vernichtung. Das hatten wir schon. Ist die politische Philosophie der freien Meinungsäußerung auf diese Art von Wiederkehr vorbereitet?



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