Donnerstag, 17. März 2022

Es ist genug. Was ich nicht wusste: es gibt das Memorandum von Budapest aus dem Jahr 1994 - allerdings ohne Rechtsverbindlichkeit

In den 90er Jahren war ich ein schlechter Zeitungsleser. Wie das so ist: manchmal muss man sich sehr ums eigene Leben kümmern. So war ich sehr überrascht, den Beitrag von Herfried Münkler am Mittwoch, dem 16.3.2022, in der Frankfurter Allegmeinen Zeitung (16.3.2022, S, 9) zu lesen, der den für mich dubiosen Titel hatte: Gegen politische Romantik. Postheroische Gesellschaften müssen im Krieg vor allem die Nerven bewahren.  Die Formel Postheroische Gesellschaften leuchtete mir nicht sofort ein; gemeint sind Gesellschaften, die ihren letzten Krieg heroisch - mit schweren Opfern überstanden haben und diese Erfahrung nicht noch einmal machen möchten. Mit dieser Formel nimmt Münkler einen langen (akademischen) Anlauf, um dann zu dem Skandal (ein schwaches Wort) zu kommen, der in unserer Öffentlichkeit nicht (jedenfalls habe ich nichts davon gehört) zur Sprache kommt:

Am 5. Dezember 1994 wurde in Budapest das Budapester Memorandum im Rahmen der dort stattfindenden KSZE-Konferenz unterzeichnet. Darin "verpflichteten sich", laut WIKIPEDIA, "Russland, die Vereinigten Staaten von Amerika und Großbritannien in drei getrennten Erklärungen jeweils gegenüber Kasachstan, Belarus und der Ukraine, als Gegenleistung für einen Nuklearwaffenverzicht" - auf die auf deren Territorium gelagerten, aus der Konkursmasse der Sowjetunion stammenden Atomwaffen - "die Souveränität und die bestehenden Grenzen der Länder (Artikel 1) zu achten". Artikel 2 bestimmt die "Verpflichtung zur Enthaltung von Gewalt und verweist auf die Charta der Vereinten Nationen als Grundlage für die Gewaltanwendung". Artikel 3 verpflichtet zum Verzicht auf die "Ausübung ökonomischen Zwangs, um die Soveränitätsrechte der Ukraine den eigenen Interessen zum eigenen Vorteil unterzuordnen". Artikel 4 "verpflichtet die Signatarstaaten, den Sicherheitsrat der UN unmittelbar zur Unterstützung der Ukraine einzuschalten, falls diese mit Nuklearwaffen bedroht würde". Artikel 5  "verpflichtet zur Enthaltung vom Einsatz von Nuklearwaffen insgesamt". Artikel 6 "enthält das Versprechen, sich bei Konflikten zu beraten".

Leider ist das Budapester Memorandum nicht rechtsverbindlich. Wenn der russische Präsident mit seiner Regierung dagegen verstößt.... kann man nichts machen. Oder doch?

Eine Verabredung wurde gebrochen. Der russsische Präsident sitzt am überlangen Tisch. Muss er sich keine Sorgen machen? Macht er sich sicher.  Münkler hatte eine Idee, die allerdings erst jetzt (am 16.3.2022) gedruckt wurde: "Die USA und Großbritannien hätten einige ihrer Atom-U-Boote ukrainisch beflaggen und unter Beibehaltung ihrer Besatzungen dem Kommando des ukrainischen Präsidenten unterstellen müssen, womit die Ukraine wieder in den Stand von vor 1994 versetzt worden wäre. Selenskyj hätte damit Putin einen Preis abverlangt, den dieser nicht zu zahlen bereit gewesen wäre, zumal er damit hätte rechnen müssen, dass ihm dann seine Generäle den Gehorsam aufgekündigt hätten". 

Münkler argumentiert in der grammatischen Form des Irrealis, wie wir das aus dem Lateinunterricht kennen und am paradigmatischen Satz si tacuisses philosophus manssises gelernt haben. Ist der Irrealis das letzte und einzige Wort dazu?

Es ist genug. Die Morde, die Traumata, das Leiden, die Verwüstungen sind schrecklich.  Der Kotau und das Warten auf das Entgegenkommen und das Tolerieren der Mätzchen des russischen Präsidenten, der an seinem langen Tisch zu Platz bittet, mit dem er die Einübung in die Unterwerfung forciert, sind genug. Man muss ihm nicht aus der Hand fressen. Man muss nicht den Labrador in seiner Gegenwart aushalten. Man kann nüchterne, kluge Forderungen stellen. Und der Skandal, dass das Budapester Memorandum nicht handlungsleitend ist, muss dringend repariert werden. Das Vertrauen ist zerstört. Die ukrainische Bevölkerung ist verraten worden - sie ist verkauft worden. Die Rede von den ehernen Werten kann man sich für später aufbewahren.

  

 

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