Dienstag, 4. Oktober 2011

Verzichten oder nicht verzichten - das ist die Zukunftsfrage

"Ich bin davon überzeugt", sagte Dieter Zetsche, Chef von Mercedes-Benz, im Interview mit Martin Scholz und Frank-Thomas Wenzel, den beiden Journalisten des Kölner Stadt-Anzeiger (17./18.9.2011, S. 10), "dass die Zukunft nicht durch Verzicht gewonnen wird". Als das Interview erschien, lief die Frankfurter Automobil-Messe. Mit dem Satz kann man ein kulturwissenschaftliches oder sozialwissenschaftliches Seminar bestreiten. Sigmund Freud hielt den Verzicht für die entscheidende Kultur-Leistung. Andererseits wusste er auch, wie er in seinem Text Der Dichter und das Fantasieren schrieb: Verzichten können wir nicht oder ganz schlecht, eher Verschieben. 1973, als die (westliche) Welt plötzlich realisierte, dass die Öl-Vorräte begrenzt sind, waren bei uns kleine Fahrzeuge sehr gefragt. So kam ich an den Mercedes eines Freundes, der sich einen Polo kaufte. Die Phase der Nachdenklichkeit war kurz; dann setzte die Periode der automobilen Hochrüstung ein - Autos kamen auf den Markt, die 200 km/h und schneller fahren konnten. Zur selben Zeit trommelten die Atom-Propagandisten und versprachen die billige Energie und erklärten unter der Hand den Verzicht für obsolet.

Welchen Verzicht er meinte, sagte Dieter Zetsche im ersten Interview nicht. Klar ist: Auf die schönen Mercedes-Limousinen und Mercedes-Cabrios sollen wir nicht verzichten. Zunehmend knappe natürliche Ressourcen hin oder her. Demnächst fahren wir mit Brennstoffzellen und Wasserstoff oder mit Elektrizität. Irgendwie kriegen die Techniker das hin. Als wären 40 Jahre nicht ins Land gegangen, fantasiert Dieter Zetsche in einem anderen Interview von großen Markt-Gewinnen mit großen Autos: "Mercedes gehört auch beim Absatz an die Spitze", sagte er Carsten Knop und Susanne Preuß von der FAZ  (10.9.2011, S. 22). Wir wurschteln uns durch und weiter. An die Endlichkeit unserer Vorräte denken wir schon, aber nicht sehr. So kann man den Subtext der Interviews übersetzen. -  So war es Anfang der 70er Jahre, so ist es heute. Hat sich etwas geändert? Dieter Zetsche, Chef einer großen Firma, macht Politik - mit dem ungeklärten Mandat seiner Kunden, die gern in die Zukunft zurück schauen. Er schafft die Fakten für Kosten, die wir noch nicht kennen. Die inoffizielle Politik ist mächtig, die offizielle Politik, die von uns gewählt wurde, nicht. Anders gesagt: die inoffizielle Politik ist mächtig, weil die offizielle Politik unsicher ist; mit der so genannten Abwrack-Prämie gab sie, aber forderte nicht. Lebenstüchtig wird man so nicht - lehrt zumindest die Eltern-Praxis.

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