Montag, 6. Juni 2016

Journalismus-Lektüre (Beobachtung der Beobachter) XXVIII: Pompöse Anmaßung

"Die Abdankung der politischen Klugheit" heißt der heutige Text im Feuilleton von Patrick Bahners in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung (6.6.2016, S. 11, Nr. 129). Wer ist zurückgetreten? Die Klugheit von Elisabeth Drew - behauptet Patrick Bahners mit schräger Logik. Elisabeth Drew ist einer der renommiertesten Journalistinnen Washingtons, ihre für die Zeitschrift The New Yorker von 1973 bis 1992 erschienenen Texte für die Sparten Political Journal, Reporter At Large und Letter from Washington beschrieben gründlich die Prozesse nordamerikanischer Politik. Jetzt weiß sie nicht mehr weiter, behauptet Patrick Bahners: "Dem Phänomen Trump versucht sie gar nicht mehr mit politischen Kategorien beizukommen". Er zitiert sie mit dem Satz, den sie von einer Kollegin aufgenommen hatte: "Man sollte denken, dass jemand kein ganz böser Mensch sein kann, der ein so gutes Verhältnis zu seinen Kindern hat". Patrick Bahners Schlußfolgerung - sein letzter Satz: "So mögen sich in der Frühzeit Amerikas die Siedler Mut gemacht haben, die den Indianern in die Hände fielen".    

Patrick Bahners hatte sich offenbar an einige Western der 50er Jahre schlecht erinnert. Der Kino-Einfall gehört zur Konzeptionslosigkeit des Autors, der familiäre mit politischen Prozessen verwechselt; aber auch zur Verachtung des Autors für Elisabeth Drew, der er nicht mehr zutraut als den Blick auf die Familie des Präsidentschaftskandidaten; zur Verachtung des New Yorker, der bis Anfang der 90er "ostentativ standpunktlose Artikel" gedruckt hätte (Hannah Arendt veröffentlichte 1963 in drei Heften ihren Text Eichmann in Jerusalem, George Packer im Dezember 2014 seinen Text über die Bundeskanzlerin The Quiet German); zur Verachtung des Aufruhrs, seitdem Donald Trump, der Protagonist und Kandidat des Bolzens, die nordamerikanische Öffentlichkeit irritiert, fasziniert, beunruhigt und beschäftigt. Die U.S.A. sind mit ihrer langen demokratischen Tradition natürlich sehr verschieden von der Bundesrepublik. Der dort seit langem zu beobachtende Prozess politischer Obstruktion mit dem Wunsch, demokratische Errungenschaften  rückgängig zu machen  - ist anders als das Vergnügen bei uns (so alt wie die Bundesrepublik), demokratische Institute mit einer giftigen, bösartigen, unablässigen Bockigkeit einer mehr oder weniger ausgesprochenen, einer mehr oder weniger dunkel geschminkten Demokratie-Feindlichkeit zu  verspotten. Sie ist noch nicht ausreichend verstanden. Es gibt keinen Anlass, sich die Hände zu reiben oder über Donald Trump zu klatschen. Donald Trump macht auch hier seinen Punkt: der Journalist, der sich an seinem Schreibtisch in Frankfurt sicher fühlt, wähnt die Nordamerikaner vor der Kino-Leinwand. Wo, glaubt er, sind seine Landsleute? Vermutlich bei der Lektüre seiner Zeitung. Die klugen Köpfe schütteln ihre Köpfe angesichts der (vermeintlichen) Abwesenheit (nordamerikanischer) politischer Verständnisfähigkeit.

(Überarbeitung: 8.6.2016)

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