Dienstag, 27. September 2016

Journalismus-Lektüre XXXVII (Beobachtung der Beobachter): ein bisschen Korruption muss sein

Auf der ersten Seite der heutigen Ausgabe der Frankfurter Allgemeinen Zeitung (27.9.2016, S. 1) das Foto des französischen Autors Michel Houellebecq - er schaut einen mit gesenktem Kopf an - ; überschrieben ist das Foto mit: Prophet des europäischen Selbstmords. Der Suizid ist eine grelle
Metapher. Nun ja: jeder so gut wie er kann. Michel Houellebecq erhielt am Montag in Berlin den Preis dieser Zeitung, der mit dem Namen des kürzlichen verstorbenen Herausgebers Frank Schirrmacher verknüpft ist. Den Preis, lese ich heute (F.A.Z. vom 28.9.2016, S. 9), haben Martin Meyer, Michael A. Gotthelf, Matthias Döpfner und Marco Soloari etabliert. Mit einem Preis kann man Glamour-Punkte für das eigene Geschäft sammeln, eine Nachricht generieren (Houellebecq in Berlin), einen Preisträger gewinnen, verpflichten und für sich sprechen lassen. Selten schlagen Preisträger einen Preis aus. Jean-Paul Sartre war damals die Ausnahme, die ich jetzt flugs erinnere.

Ich prüfe die Hypothese der Gefälligkeit. Michel Houellebecq beginnt seine Rede mit seinem Bedauern: er würde gern sagen könne, dass er sich über den Preis freuen würde und die  Frankfurter Allgemeine Zeitung für eine sehr gute Zeitung halte - aber leider spreche er kein Deutsch. Kann er die Zeitung denn lesen? Sagt er nicht. Etwas später (im Text) zählt er die Frankfurter Allgemeine Zeitung zu den international renommierten Referenzblättern - so die Übersetzung seines Vortrags. Weiß er das aus eigener, regelmäßiger Lektüre? Er sagt es nicht. Vermutlich nicht. Er müsste sie täglich einigermaßen gründlich lesen. Meine Hypothese ist nicht widerlegt; aber einigermaßen belegt: wer kein Deutsch kann, kann schlecht eine deutsche Tageszeitung einschätzen; jemand müsste sie für ihn lesen. Michel Houellebecq beginnt also wie ein Kleinkünstler, der in einer Kleinstadt auftritt und seinem Publikum zusichert, dass er sich freut, ausgerechnet in dieser Kleinstadt aufzutreten.

Der Kontext der Rede. Michel Houellebecq klagt über das französische Referenzblatt Le Monde, mit dem er oder das mit ihm über Kreuz liegt. Sein Vortrag ist seine Klage über die französischen Linke, von der er sich schlecht behandelt fühlt. Dazu kann ich nichts sagen. Ausführlich zitiert er drei Autoren, denen er sich verwandt fühlt: Tocqueville, Dantec und Muray. Er beklagt die kulturelle Last - der von ihm so genannten Heiligen Kühe: Marx, Freud und Nietzsche. Marx sei ausrangiert, triumphiert er, Freud sei bald ausrangiert. Bei Nietzsche würde es noch dauern. Der Autor, als Prophet präsentiert, erzählt seinen Roman Soumission weiter und malt unsere Zukunft vertraut düster. Soumission, schrieb übrigens der französische Soziologe Gilles Kepler (in seinem Buch Terreur Dans L'Hexagone, S. 247) , sei eine wörtliche Übersetzung des arabischen Ausdrucks islam. 

Was sagt Houellebecq zur europäischen Selbstvernichtung? Diese Sätze:
"Aber das Vordringen des Islams beginnt gerade erst, denn die Demographie ist auf seiner Seite und Europa hat sich, indem es aufhört Kinder zu bekommen, in einen Prozess des Selbstmords begeben. Und das ist nicht wirklich ein langsamer Selbstmord. Wenn man erst einmal bei einer Geburtenrate von 1,3 oder 1,4 angekommen ist, dann geht die Sache in Wirklichkeit sehr schnell". Michel Houellebecq hat sich nicht informiert: die Geburtenrate von 1.4 ist unsere Realität. So viel zu seinem Interesse an der Bundesrepoublik Deutschland.

Sehr schnell, vermute ich, wurde dieser Text geschrieben - was spielt das eine Rolle. Der Autor ist auch Geschäftsmann. Sagt das etwas über die Qualität seiner Autorenschaft?  Dieser Autor erhält (mit seinem Preisgeld) wenigstens einen vernünftigen Stundenlohn. Ob sich die Marketing-Anstrengung der Zeitung für die klugen Köpfe rentiert, weiß ich nicht.  Ein Deal der Unredlichkeit, möchte ich sagen. Ein bisschen Korruption ist doch nicht schlimm. Wer würde nicht ein fünfstelliges Honorar einstecken, wenn er könnte? Oder?

(Überarbeitung: 28.9.2016 und 31.7.2017)  

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