Dienstag, 13. November 2012

Drohen oder nicht drohen?

"Man stelle sich einfach mal vor, Berlin hätte von Anfang an gesagt: wir helfen. Punkt. Aus. Dann", schreibt Cerstin Gammelin in der SZ vom 12.11.2012 auf Seite 4 in ihrem Kommentar Die Kunst des Umfallens, "hätten sich die andere Länder mit ihren Extrempositionen durchgesetzt, in diesem Fall die griechische Regierung". Fazit: "Es ist auch den markigen Aussagen der Bundesregierung zu verdanken, dass sich Athen gezwungen sieht, überhaupt Reformen anzupacken".

Ist das so? Die Logik scheint einfach zu sein, das zugrunde liegende Konzept ist so vertraut. Hätte ich mit dem Taschengeld-Entzug nicht gedroht, hätte er nie seine Hausaufgaben gemacht. Eltern lügen sich manchmal mit ihrer Hilflosigkeit in die Tasche und übersehen, dass Kinder ein Lebensinteresse daran haben, ihre guten Beziehungen zu den Eltern zu erhalten, und dass die Drohung des Beziehungsabbruchs die schrecklichste Bedrohung für die Stabilität des seelischen Gefüges des Kindes ist. Drohen heißt: die Abhängigkeit des Kindes auszubeuten - es wirklich klein zu machen.

Nun lässt sich dieses Konzept elterlicher Hilflosigkeit nicht so ohne weiteres auf politische, diplomatische Interaktionsprozesse übertragen. Aber stellen wir uns vor, die Bundesregierung hätte gesagt: Wir helfen. Sie hätte nicht die Metapher des unklaren Helfens benutzen müssen - Rettungsschirm - ; sie hätte ihrerseits ihre Forderungen stellen und an die Lebensinteressen der verschuldeten Länder erinnern können; sie hätte darauf drängen und warten können, dass ihre Forderungen erfüllt werden; sie hätte die griechische Regierung nicht hinhalten müssen wie ein kleines Kind; sie hätte das landesweite Schenkelklopfen bundesdeutscher Selbstgerechtigkeit verhindert; sie hätte den Stolz der Griechen erhalten; sie hätte die Griechen gewonnen. Es ist das alte deutsche Konzept: Erst Druck machen, dann - . Erst unterwerfen, dann - . Es ist die alte bundesdeutsche Unsicherheit, wie angemessene Beziehungen gestalten werden sollten. Dazu lässt sich vieles sagen. Nur so viel und ganz knapp: die bundesdeutsche Beziehungs-Scheu  gehört zu unserer schwer erträglichen historischen Last.

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen