Mittwoch, 7. November 2012

Ist Hass ein politisches Argument? II

"Das Versagen nach dem Versagen", überschrieb Tanjev Schultz seinen Kommentar in der SZ vom 3./4. November 2012 (S.4). Auf das Versagen der Ermittlungsbehörden bei der Aufklärung der Ermordung deutscher Bürger nicht-deutscher Herkunft, folgte, so Tanjev Schultz, das zweite Versagen:  "ein Mangel an Demut und ehrlichem Aufklärungswillen". Der ehrliche Aufklärungswillen ist das Problem. Was soll aufgeklärt werden? Was ist, wenn das Versagen kein Versagen war, sondern das Produkt eines intendierten, aber offenbar nicht-bewussten Abstimmungsprozesses der Ermittler auf eine eliminatorische Fantasie, die den Opfern die Vermutung verweigerte, Opfer eines Mordes geworden zu sein? Wenn wir diese Hypothese ernst nehmen, dann können wir nicht mehr von Versagen sprechen, sondern von einem Gruppenprozess, deren Teilnehmer insofern kooperierten, als sie sich auf ein oder auf mehrere projektive Bilder von den Wirklichkeiten der Mord-Opfer verständigten. Diese Hypothese, ein komplexer interaktiver Prozess, ist natürlich schwer aufzuklären. Man müsste, wenn sie denn zu sprechen bereit sind,  die Beteiligten lange interviewen.

Seit 1945 wissen wir, wie schwer es fällt, sich über die eigene, wie auch immer geteilte Sympathie für die mörderischen nationalsozialistischen Fantasien deutscher Grandiosität zu verständigen. Seit 1945 wissen wir auch, wie schwer es fällt, eine einigermaßen präzise Sprache dafür zu finden. Es geht um den mörderischen Hass, den die nationalsozialistischen Propagandisten zu einer Art politischer Religion verklärten und für einige Jahre salonfähig machten. Spätestens seit 1945 wissen wir auch, dass der mörderische Hass ein schreckliches, irreparables Leid hinterlassen hat. Seitdem wissen wir auch, dass der mörderische Hass schwer beim Namen zu nennen ist. Im Kontext von Links - oder Rechtsextremismus erhält der Hass die Aufwertung einer politischen Haltung. Wenn gar von einer rechtsextremen Terrorgruppe nationalsozialistischer Untergrund gesprochen wird, die als Akronym einer ehemaligen Automarke kursiert, verschwindet der Hass in einem seltsamen Bedeutungs-Nebel.  Dieser Hass, auch wenn wir ihn identifizieren zu können glauben, weil er  mit den bekannten Requisiten und Formeln  der beschwichtigenden öffentlichen Diskussion ausstaffiert wird, ist noch nicht verstanden.  (Siehe auch meinen Blog vom 11.1.2012) 

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