Donnerstag, 30. Januar 2014

"Ihr müsst leider draußen bleiben"

Vor ein paar Tagen blieb ich an diesem Satz aus dem Kommentar von Adrian Kreye in der SZ (25./26.1.2014, S. 4, Nr. 20) Klick, Maus und Shitstorm hängen: "Höflichkeit gehört schließlich nicht zur Berufsbeschreibung von Journalisten". Das, dachte ich, ist ein erstaunlicher Satz in einer zivilisierten Zeitung wie der SZ. Natürlich dachte ich sofort an Norbert Elias, der das deutsche Problem mit der Höflichkeit auf den Punkt gebracht hatte - den man etwas robust so umschreiben könnte: Ehrlich sind die Taktlosen.

In welchen Kontext gehört Adrian Kreyes Satz? Die nächsten beiden Sätze:
"Eigentlich gehört es sogar zu den grundlegenden Moderatorenpflichten, dass sie den Redefluss von Politikern stoppen, die stur ihr Parteiprogramm herunterbeten. Man könnte Markus Lanz sogar vorwerfen, dass sein öffentliches Bedauern am Freitag der eigentliche Fehler war, weil er, ähnlich wie Marietta Slomka beim Interview mit Sigmar Gabriel, doch nur sauberes Handwerk bewiesen hat". Noch zwei erstaunliche Sätze. Hat Marietta Slomka sauberes Handwerk bewiesen? Wohl kaum; denn sie suchte den S.P.D.-Vorsitzenden, zum Geständnis seiner Befürchtungen (vor der Mitglieder-Abstimmung) zu drängen (s. meinen Blog vom 2.12.2013). Und worin bestand Markus Lanz' sauberes Handwerk? Ich sah 41 Minuten der Sendung auf You Tube, in der der Moderator Markus Lanz mit Herrn Jörges vom stern, zu dem er ständig zurückblickte, um seine Gesprächskoalition abzustimmen, Sahra Wagenknecht 25 Minuten lang in die sprichwörtliche Zange nahm, um sie zu einer bestimmten Ja- oder Nein-Aussage (zur EU) zu bringen, bevor er sich seinen drei anderen (stummen) Gesprächsgästen zuwandte.

Eine solche Szene habe ich noch nie in unserem öffentlich-rechtlichen Fernsehen gesehen. Zwei Männer verbünden sich gegen eine Frau, so der Subtext, aus welchen Gründen auch immer. Herr Jörges hatte den Part des Rabauken, der schimpfte, kränkte und beschämte - beispielsweise mit den Worten mit dem ganzen Stuss, den Sie hier verbreitet haben. Und der Moderator schützte Sahra Wagenknecht nicht, die (äußerlich) stoisch die feixenden Herren ertrug und mehr und mehr defensiv argumentierte, während die drei anderen jungen Herren den seltsamen Clinch verfolgten, warteten, unruhig wurden, aber nicht eingriffen.

Die Szene konnte ich schlecht ertragen. Darf man die Regel von Höflichkeit verletzen? Darf man eine Politikerin beschämen und kränken? Robin Day, den B.B.C.-Journalisten, den der Labour-Minister Richard Crossman incisive nannte, werde ich nicht vergessen, als er Margaret Thatcher nach ihrer langen gewundenen Stellungnahme kühl entgegnete: "Sie haben meine Frage nicht beantwortet". Darf man sich unfair verhalten wie Jugendliche, die auf ihre Klassenkameradin losgehen? Ich konnte die Empörung der Zuschauer, von der ich zuerst aus Adrian Kreyes Text erfuhr, verstehen, als ich nachträglich die Sendung im Internet sah. Zum Glück gibt es das Internet, in dem man fremde Beobachtungen überprüfen kann. Adrian Kreye - der offenbar die Z.D.F.-Sendung mit Markus Lanz nicht gesehen hatte (eine andere Erklärung habe ich nicht) - störte sich an der sich im Internet zu einem Aufruf organisierenden Empörung, die die Absetzung des Moderators forderte. Wieso? So komme es zu einer Entwertung der Politik, wenn der passive (sein Wort) Mausklick zu dominieren beginne, lautete sinngemäß sein Argument. Er versteht offenbar den großen Wunsch nach Beteiligung nicht - die Korrektur des Gefühls, aus der öffentlichen Diskussion ausgeschlossen zu sein, weil zu ihr nur wenige Zugang haben. Das Internet stellt eigene Foren des Diskurses her und realisiert ein demokratisches Versprechen - das die Printmedien bedroht. Das Gefühl von Bedrohung des Journalisten Adrian Kreye ist der affektive Subtext seines Kommentars - in einer Zeitung übrigens, die den online-Zugang zu ihren Texten mit hohen Zutrittskosten buchstäblich verbarrikadiert, anders als DIE ZEIT,  die FAZ, der SPIEGEL, die Washington Post, die New York Times und The New Yorker.

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