Freitag, 31. Januar 2014

Feine Stiche


Präsident Einsam las ich gestern in der SZ (30.1.2014, Nr. 24, S. 4): Nico Richter reagierte auf die Rede des U.S.-Präsidenten Barack Obama am 28.1. , der angekündigt hatte, seine Politik entschieden zu behaupten. Der Tonfall des Textes - wie ich ihn aufnahm - ging mir nach: "Obamas Zauber ist verflogen, aber vielleicht nicht endgültig. Er kann noch immer sehr gute Reden halten ... Seine Analyse der Zustände in seinem Land ist so richtig wie vor seiner Wiederwahl ... Auch wenn dies alte Botschaften Obamas sind - sie stimmen noch immer .... Und doch hat Obama seine Marke neu definiert. Er träumt nicht mehr davon, Washington mit sich selbst zu versöhnen. Dieses Experiment hat er für gescheitert erklärt. Es ist teilweise gescheitert, weil Obama oft unerreichbar und arrogant wirkte, vor allem aber weil die Republikaner in ihrem Ideologiefieber keine Geschäftspartner sind. Obama sieht es jetzt ein".

Präsident Einsam ist eine seltsame Formel - weil sie ein schräges Bild suggeriert: steht Barack Obama allein an seinem Schreibtisch im Oval Office, einen Becher Kaffee in der Hand? Ein Alltagsverständnis - jemand ist allein und hat keine Kontakte mehr - mischt sich in den Versuch der Beschreibung der politischen Situation und der Einschätzung der Politik des Präsidenten. Natürlich ist er nicht allein: er hat, wie er in dem Interview mit David Remnick, Autor der Zeitschrift The New Yorker und Autor der Biographie Barack Obamas The Bridge. The Life and Rise of Barack Obama, sagte (The New Yorker vom 27.1.2014), ein Team von Beratern zur Verfügung, mit dem er sich gründlich berät. Zudem teilen viele Nordamerikaner offenbar seine Politik. Was ist der Zauber von Barack Obama? Werden damit nicht dessen politische Fähigkeiten in den Kontext eines Tricks verschoben? Dabei lässt sich wiederum in der Zeitschrift The New Yorker nachlesen, was er kann und wie er es macht. Aus der Lektüre des Interviews habe ich auch nicht den Eindruck gewonnen, dass Barack Obama unerreichbar und arrogant wirkte, sondern das Gegenteil: er denkt sehr an die Gestaltung guter Beziehungen als die Voraussetzung für vernünftige Politik. Einsam, Zauber und arrogant sind Nico Richters porträtierende Tupfer. Sein letzter Satz in seinem Kommentar: "Wer ein Präsident für die Menschen sein will, der muss mit anderen Menschen im Gespräch bleiben - selbst wenn es Washingtons Republikaner sind". Nichts anderes hat Barack Obama versucht und wird es weiter versuchen. Vom Scheitern kann keine Rede sein. Der einsame Präsident ist eine unfreundliche Beschreibung: eine Unterschätzung der Komplexität seines Amtes.

Der Deutschen Glück und Seligkeit überschrieb Joachim Käppner seinen Text in der SZ (30.1.2014, Nr. 24, HF3), den er so einleitete: "Wenn der böse Deutsche irgendwo fortlebt, dann in britischen Boulevardblättern. Da gehen die 'Krauts' um, spielen Fußball wie 'German Panzers' und immer neue 'geheime Nazipläne' finden sich ... Kürzlich machte sich auch der hochseriöse Economist lustig über die seltsamen Deutschen ... Es war nach der Libyenkrise, in der Berlin die Linie vertrat: Menschenrechte müssen überall auf der Welt durchgesetzt werden, aber nicht von uns. Das Blatt fasste das ... in dem boshaften Slogan zusammen: 'No shooting please! We're German". Dreierlei muss man wissen: 1. die britische Regenbogenpresse pflegt einen äußerst robusten, verletzenden Tonfall; 2. die Furcht vor einer nationalsozialistischen Invasion war mächtig; die Erleichterung und der Stolz über ihre Beseitigung enorm; der Spott über die buchstäblich unheimlichen Deutschen hält die Geschichte in vielen Kontexten lebendig; 3. der boshafte Slogan ist auch eine selbstironische, spielerische Formel der Umarmung; denn sie benutzt die populäre Sprachfigur, die der Titel eines verrissenen, aber populären, über Jahrzehnte aufgeführten Theaterstücks (seit 1971) ist: No Sex please, we're British (von Alistair Ford und Anthony Marriott). Viertens: das Klagen über unsere Nachbarn, die ihre Geschichte mit dem nationalsozialistischen Deutschland nicht vergessen, sondern erinnern - wobei die regelmäßige Evokation der bissigen, wenig zivilisierten, drauflos stürmenden Jerries eine sehr ambivalente, englische Erinnerung an die deutschen Soldaten des zweiten Weltkriegs darstellt - , ist so alt wie die Bundesrepublik; das Klagen über die Leitmotive der Erinnerung wird von einer bundesdeutschen, sich ahnungslos gerierenden Empfindlichkeit gespeist, die das Leid unserer Nachbarn, die nicht vergessen können, nicht imaginieren möchte.

Journalisten und Journalistinnen müssen nicht oder sind nicht gewohnt, in ihren Texten die ihren Lesarten gesellschaftlicher, politischer, psychozialer Prozesse zugrunde liegenden (theoretischen und methodischen) Konzeptionen darzulegen oder auszuweisen. Das hat den Vorteil der schnellen Lesbarkeit und den Nachteil unklarer, schwer überprüfbarer Perspektivität der Beobachtungen und Befunde in journalistischen Texten.

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