Montag, 7. Juli 2014

Ist eine mechanische Idee hilfreich?

"Zeit für einen Schnitt" ist Christian Guths Text getitelt (SZ vom 13.6.2014, Nr. 134, S. 16). Der Untertitel: "Magenverkleinerungen lindern Übergewicht und Diabetes besser als herkömmliche Therapien. Doch wegen Nebenwirkungen und hoher Kosten bleibt die Adipositaschirurgie umstritten".
Nicht nur wegen der Nebenwirkungen und der Kosten. Sondern wegen der fragwürdigen Konzeption dieses chirurgischen Eingriffs, den Magen einer oder eines stark Übergewichtigen zu verkleinern. "Ab einem gewissen Ausmaß der Überernährung haben sich Magenumfang, Hormonhaushalt und Sättigungsgrad im Gehirn fest darauf eingestellt", lautet die These eines Propagandisten dieser Chirurgie. Statt des großen Magens den kleinen Magen. Wir kennen die Idee aus einem technischen Kontext: statt des Achtzylinder-Motors der Vier-Zylinder-Motor. In der Motorentechnik verfügt heutzutage ein (aufwändiges) Aggregat über ein Regulationssystem, das je nach Last die Zahl der Zylinder reduziert. Der Magen ist aber keine Maschine; er muss anders reguliert werden. Übergewichtigkeit ist zuerst und vor allem eine Lebensform mit dysfunktionalen Selbst-Regulationen; sie verändert sich nicht automatisch mit einem massiven, aggressiven Eingriff einer Verkleinerung. Das ist natürlich bekannt; weshalb Patienten nachher gut betreut werden müssen. Warum nicht vorher? Warum wird eine intensive Psychotherapie nicht ausprobiert? Weil die Überzeugung der Wirksamkeit langfristiger psychotherapeutischer Verfahren fehlt, weil die Idee oder Fantasie der schnellen Veränderbarkeit dominiert und der medizinisch orientierte Eingriff als eine punktuelle reparative Intervention so nahe liegt in unserer Zeit der raschen Profit-Maximierung.

Die Wirksamkeit dieser Art chirurgischen Eingriffs muss gründlich geprüft werden. "Auf längere Zeit", führt Christian Guth aus, "relativieren sich die beeindruckenden Ergebnisse. Der durchschnittliche Gewichtsverlust liegt nach zehn Jahren lediglich bei gut 20 Prozent des Ausgangsgewichts. Die schwedische SOS-Studie zeigt eine nicht unbeträchtliche Rückfallquote bei operierten Diabetikern: Normalisierte sich anfangs mehr als 70 Prozent von ihnen der Blutzuckerspiegel, fiel der Anteil der Geheilten in den folgenden 15 Jahren auf 30 Prozent zurück. 'Das sind trotzdem gute Ergebnisse', stellt Jürgen Ordemann, Leiter des Zentrums für Adipositas und Metabolische Chirurgie an der Berliner Charité, klar, 'immerhin lässt sich so eine chronische Stoffwechselerkrankung in den meisten Fällen deutlich aufhalten - besser als mit jeder anderen Therapie'". Wenn man einer mechanischen Fantasie folgt und die aggressiven Kosten nicht scheut, kann man das behaupten.

Nachtrag am 30.7.2014:
Man kann natürlich fragen: wer kommt warum auf diese Idee der Amputation eines gesunden Organs? Das Wer lässt sich nicht beantworten: ich kenne den Erfinder dieser aggressiven operativen Intervention nicht. Aber zum Warum kann man Motive vermuten: 1. der oder die stark Übergewichtige muss büßen und zahlen für den Hunger; 2. das schlechte Selbstbild des oder der stark Übergewichtigen wird bestätigt und damit beruhigt. Ein seltsamer interaktiver deal: die Amputation als Buße. 

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