Donnerstag, 31. Juli 2014

It's easy: wie wir unsere nationalsozialistische Geschichte abschütteln können

"Besetzt, beschützt, bevormundet", mit dieser Alliteration einer (abnehmenden) Passivität verdichtet der Historiker Georg Schöllgen die Geschichte der bundesdeutschen Abhängigkeit von den Vereinigten Staaten von Amerika. "Für die deutsch-amerikanische Freundschaft hat der Kalte Krieg nie aufgehört" ist der Untertitel seines Textes (SZ vom 29.7.2014, S. 13, Nr. 172). Für einen Historiker argumentiert Georg Schöllgen erstaunlich ahistorisch. Die Geschichte der Bundesrepublik lässt er mit dem 12. Mai 1949 beginnen: mit der von der sowjetischen Regierung zugestandenen Aufhebung der Isolation West-Berlins. Danach hatten "die Westmächte einen Verbündeten", schreibt er, "es war von Anfang an eine ungleiche Partnerschaft. Die Amerikaner gaben die Richtung vor. Die Deutschen folgten ohne Wenn und Aber". Das Stichwort ist die ungleiche Partnerschaft. Es kommt so selbstverständlich daher, aber es klingt ziemlich rührselig. Wann ist eine Partnerschaft gleich? Gibt es das? Im besten Fall haben die Partner ein gleiches oder ähnliches Interesse, aber ihre Motive und ihre Ausgangslagen sind verschieden. Die Bundesrepublik begann als ein zerschlagenes, zerrissenes Land, dessen Regierung (nach innen) eine Rhetorik der Beschwichtigung und (nach außen) eine Politik der Umarmung verfolgte - Konrad Adenauer war der Protagonist der Freundschaft in einer Zeit, als ein Teil der westdeutschen Öffentlichkeit penibel und empört Anzeichen einer (internationalen) Deutschfeinlichkeit aufspürte.

"Mit ihrer Präsenz und ihrer Nukleardoktrin garantierten die Amerikaner alles", so Georg Schöllgen, "was den Deutschen im Westen des geteilten Landes lieb und teuer war: ihre Sicherheit und ihre Freiheit, ihre Währung und ihren Wohlstand. Der Preis, den sie dafür zahlten, war hoch: Die Deutschen wurden entmündigt". Ist Entmündigung die richtige Beschreibung für den Prozess der prekären Balancierung des bundesdeutschen Selbstgefühls? Für den Prozess der Integration - so dass man sich wieder ins Ausland zu reisen traute? Für den tatsächlichen Preis, den wir zahlten? Georg Schöllgen hat unsere die verständlichen Dimensionen von Schuld und Verantwortung überschreitende Last der Beschämung angesichts der nationalsozialistischen mörderischen Orgie nicht im Blick; er spart sie aus. "Denn der Grund für den desaströsen Zustand des deutsch-amerikanischen Verhältnisses", sagt er, "ist nicht in der politischen Wirklichkeit, sondern in der mentalen Befindlichkeit der Beteiligten zu suchen. Solange die Deutschen in der Rolle des Mündels verharren, haben die Amerikaner keine Veranlassung, ihre Besatzermentalität abzulegen. Umgekehrt spricht einiges dafür, dass ein mit angemessenem Selbstbewusstsein auftretender deutscher Partner auch für die USA die attraktivere Alternative ist. Für die Nachbarn, die laut über eine europäische Führungsrolle nachdenken, gilt das ohnehin".

Das mentale Problem ist, wie wir immer wieder in Sportsendungen hören, von Psychologen vergleichsweise leicht zu lösen. Man muss sich nur richtig zusammenreißen, Selbstvertrauen ausstrahlen und seine mit zusammengepressten Lippen kommunizierte Körpersprache sprechen lassen.  Brust raus und Kopf hoch! So einfach ist es nicht. Was wir zur Zeit erleben, ist die Ernüchterung der Illusion der bundesdeutschen Selbst-Beruhigung. Unsere Geschichte ist nicht vergessen und nicht
verschwunden. Sie gehört zu unserer politischen wie psychosozialen Wirklichkeit.

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen