Dienstag, 15. März 2016

Wörter zum Verschleiern II: der Wutbürger

Am Wutbürger fällt auf: es gibt keine Wutbürgerin. Doppelter Ausschluss. Der Wutbürger ist die Vokabel der Verachtung: wer sich so aufregt, hat bei uns nichts zu suchen. Wer so wütend ist, ist ohne Grund wütend. Das kann nur der oder die sagen, der oder die diesen Affekt nicht nachzufühlen bereit ist oder ihn nicht nachfühlen kann. Erwachsene versuchen schon einmal, ihrem Kind die Unangemessenheit des Wut-Affekts klarzumachen, um es zu beschwichtigen. Der Wutbürger ist die Vokabel der Herablassung - einer asymmetrischen Beziehung - und ein Missverständnis: in der Wahlkabine, in der niemand Auskunft geben muss über seine Wahl-Motive,
kann jede Bürgerin und jeder Bürger frei nach der eigenen Emotion wählen; wir trauen ihr und ihm zu, nach den eigenen Lebensinteressen zu handeln. Der Wutbürger soll es nicht dürfen: gehen Sie nicht mit denen, die Hass im Herzen tragen, sagte unsere Bundeskanzlerin in ihrer Sylvester-Ansprache 2014. Sie ist die Kanzlerin der Exklusion. Seit dem letzten Jahr hat sie viel unternommen, diese Taktik zu vernebeln. Die Vokabel Wutbürger ist undemokratisch. Interessant ist, dass die Wort-Bildungen mit dem Bürger immer noch negative Konnotationen haben: Bildungsbürger, SUV-Bürger (die fahren diese Riesen-Schlitten), Wutbürger. Der Spießer war weimarisch, diese drei Bürger sind bundesdeutsch. Geblieben ist die demokratische Unsicherheit bundesdeutscher Identität.


 (Überarbeitung: 18.3.2016)

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen