Donnerstag, 5. März 2020

Absichtliche oder unabsichtliche Verachtung? Ein Foto vom Hanauer Staatsakt am 4.3.2020

Heute, am 5.3.2020, macht die Frankfurter Allgemeine Zeitung ihre erste Seite mit einem Foto vom Hanauer Staatsakt zum Gedenken an die Ermordeten mit deren Angehörigen auf. Das Foto zeigt rechts unsere Kanzlerin, die sich einem Angehörigen zuwendet, der das gerahmte Bild eines ermordeten Verwandten ihr entgegenhält und sie anschaut. Neben ihm sitzt vermutlich seine Frau, die zu dem rechts von ihr sitzenden Bundespräsidenten spricht. Das Foto ist mit der Zeile unterlegt:

"Erinnern an die Toten: Kanzlerin Merkel und Bundespräsident Steinmeier mit den Angehörigen eines Opfers".

Ich vermisse die Namen des Paares, das zwischen unserer Kanzlerin und unserem Bundespräsidenten sitzt. Wäre es nicht fair und anständig, auch deren Namen zu nennen, damit sie ihre Identität erhalten? Schwer vorzustellen, dass ihre Namen schwierig zu ermitteln waren. Schwer vorzustellen, dass das Paar, das in der ersten Reihe exponiert sitzt, nicht einverstanden gewesen sein sollte, dass ihre Namen bekannt werden. Schwer,  diese Unterlassung nicht als eine repräsentative Form vertrauter, subtiler Exklusion zu verstehen.

Ich verstehe den Gedenkakt auch als Veranstaltung des schlechten Gewissens - für die jahrzehntelange Dauerkränkung durch Formen subtiler Exklusion und mehr oder weniger expliziter Verachtung, mit der den Bürgerinnen und Bürgern türkischer Herkunft häufig begegnet wurde und wird,  ganz abgesehen von den mörderischen Brandlegungen und Exekutionen seit den 90er Jahren. Eine deutliche Entschuldigung (durch die Repräsentanten unseres Staates) für das die Ermittlungbehörden leitende Vorurteil der Verachtung bei der Fahndung nach den Schwerkriminellen Uwe Böhnhardt, Uwe Mundlos und Beate Zschäpe steht seit knapp zehn Jahren noch immer aus als eine Anerkennung des enormen Leids der Angehörigen und ihrer schweren Beschämung und Kränkung durch diese Form der Exklusion. Zugleich wäre es Zeit, die idiotische Namensgebung der Schwerkriminellen mit dem Akronym einer ehemaligen Automarke aufzugeben und dem Trio Böhnhardt, Mundlos und Zschäpe einen angemessenen Namen zu geben (s. meine Blogs Wie wirklich sind die Bilder unserer Wirklichkeiten? vom 13.12.2011, Ist Hass ein politisches Argument? vom 7.11.2012 und Hart, aber unfair vom 17.3.2017). Zudem sollte bedacht werden, dass die Rede von den rassistisch motivierten Morden den Mörder aus Hanau, Tobias Rathjen (Leserbrief der F.A.Z. vom 2.3.2020, S. 18),  und damit uns in den bundesdeutschen Blick nimmt, die Ermordeten aber nicht. Mit-Empfinden und Selbst-Mitleid sind schwer zu identifizieren und zu trennen.

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