Donnerstag, 5. März 2020

Es lebe der Markt, aber nicht unbedingt der Patient: die Politik des Totsparens als fragwürdige Vorsorge in Krisenzeiten. Aktueller alter Blog vom November 2012

Manchmal wünsche ich mir, dass ein gelungener Text von den vielen Foren unserer öffentlichen Diskussion wahrgenommen und diskutiert wird. Evelyn Rolls in der SZ auf der Seite Drei veröffentlichten Reportage "Totgespart. Operation gelungen, Patient in Gefahr. Warum gibt es in Krankenhäusern: zu viele Keime und zu wenig Personal? Eine Überlebensgeschichte aus der Berliner Charité" ist ein glänzender Text zur Komplexität unseres Gesundheitssystems, das durch den Versuch, mittels schlichter Ideen betriebswirtschaftlichen Managements Kosten zu sparen, ruiniert zu werden droht. Die Ideen lauten: Verdichten, Beschleunigen, Ent-Kontextualisieren (Parzellieren). Wenn nur eine Nachtschwester in einem Krankenhaus eine Station versorgt (statt zwei oder drei), lastet jede Menge Verantwortung und Arbeit auf ihr; sie muss sie hetzen; zudem darf nichts dazwischen kommen; wenn zwei Patienten gleichzeitig in Not sind, kommt sie in Not. Ent-Kontextualisieren hat Evelyn Roll am Beispiel des Transports einer Patientin oder eines Patienten in deren Bett beschrieben: Nicht die oder der, der oder die die Behandlung übersieht, schiebt das Bett auf eine andere Station, sondern jemand, der nur für diese Arbeit zuständig ist (und Mitarbeiter einer dafür beauftragten Fremdfirma ist) und nur das Bett von dem einen Platz zum anderen Platz schiebt. Wie lange der Patient allein in seinem Bett wartet, interessiert ihn nicht. Das Warten des desorientierten Patienten fällt aus dem Interesse einer Krankenhaus-Behandlung heraus; für die Kosten-Erstattung ist das Warten irrelevant.

Das ist nur ein Beispiel der Dysfunktionalität im Krankenhaus. Sie ist die Folge der Anstrengung, die Kosten zu senken, indem man an Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern spart. Totgespart nennt Evelyn Roll das Resultat dieser Strategie. "Wer Glück hat", schreibt sie, "gerät an einen Spitzenmediziner, danach jedoch in den Pflegenotstand".         

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