Freitag, 20. März 2020

Angela Merkel und Covid-19: die Hilflosigkeit des Appellierens

"Ich glaube fest daran", sagte  unsere Kanzlerin in ihrer nationalen Ansprache am 19.3.2020, "dass wir diese Aufgabe bestehen, wenn wirklich alle Bürgerinnen und Bürger sie als ihre Aufgabe begreifen". Der Satz ist Merkelsches Idiom: unscharf, unpersönlich, betulich. Im Klartext: Wir schaffen das, wenn wir uns alle anstrengen.  Ihr Ich glaube fest daran ist eine protestantische Formel. Was ist unsere Aufgabe Genügend Abstand zueinanander  halten - gut zwei Meter - und Schmierinfektionen mit gründlichem Waschen der Hände vermeiden. Was noch? Sagt unsere Kanzlerin nicht. Sie appelliert: "Es ist ernst. Nehmen Sie es auch ernst". Und: "Seit dem zweiten Weltkrieg gab es keine Herausforderung in unserem Land mehr, bei der es so sehr auf unser gemeinsames, solidarisches Handeln ankommt". Fromme Sätze, die mir nicht helfen.

Eine Demokratie lebt vom unerschütterlichen (auch wenn es schwerfällt) Vertrauen in die  Vernünftigkeit der Mehrheit seiner Bürgerinnen und Bürger, die Lebensinteressen im Blick zu halten. Sie müssen daran nicht erinnert werden. Appelle zu vernünftigem Handeln unterstellen unvernünftiges Handeln. Sei vorsichtig! unterstellt die Risikobereitschaft. Das hört niemand gern. Betüttelt zu werden ist ein Graus. Ein Erwachsener oder eine Erwachsene lässt sich  mit einer besorgten Weitsicht herab und macht einen klein - und bockig. 

Bockigkeit ist ein gutes Zeichen: Jemand wehrt sich; etwas ist noch nicht verstanden. Die Covid-19-Pandemie hat eine unscharfe Gefahrenkontur: das Virus ist im Alltag (wohl im Labor) nicht zu sehen. Es ist weit weg.  Wir sind gewohnt, das, was wir mit unseren fünf Sinnen wahrnehmen können, für wirklich zu halten. Was wir auf diese Weise identifizieren können, nenne ich: sinnliche Gewissheit. Es gibt aber auch eine abstrakte Gewissheit - die Überzeugung, dass eine plausible, gut hergeleitete oder begründete Hypothese oder Vermutung stimmt. Man nennt das: Evidenzgefühl. 

Wieso wird dann die abstrakte Gewissheit, dass das Covid-19-Virus uns ernstlich bedroht, hier & da (wir wissen es nicht genau) nicht für evident gehalten? Weil, mein erster Eindruck, die Kommunikation der Gefahr uneinheitlich, vielstimmig und unterschiedlich präzis ist und die Qualität der Kommentatorinnen und Kommentatoren verschieden sind. Es gibt, ein Beispiel für die Repräsentanten der Fachleute, Christian Drosten von der Berliner Charité, der glänzend (in seinen täglichen Podcasts beim NDR - ein Bravo auf das Öffentlich-Rechtliche!) ein Bild des Covid 19-Virus  und der Komplexität des wissenschaftlichen Vorgehens vermittelt. Man kann ihm, der das Ideal von Wissenschaftlichkeit gekonnt, skeptisch und skrupulös repräsentiert, nur eine riesige Zuhörerschaft wünschen. Es gibt Alexander Kekulé, den Virologen aus Halle/München, der mit ihm konkurriert, schon einmal nachkartet (bei Anne Will am 15.3.2020) und mit riskanten Bildern hier & da einen  anderen fachfremden Ton anschlägt. Mit anderen Worten: will man jemanden erreichen, muss man integer, diffenziert und an alle adressiert - auch an die jungen bockigen Leute mit den vermeintlich tauben Ohren - kommunizieren (können). Am besten läßt man die Besten ran.


 



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