Dienstag, 23. September 2014

Bundesdeutsche Forschheit

Winfried Georg Sebald, der Autor mit dem Gespür für die Abgründe unserer Gegenwart, beschrieb in seinen Vorlesungen Luftkrieg und Literatur seine Beobachtung: "Trotz der angestrengten Bemühung um die sogenannte Bewältigung der Vergangenheit scheint es mir, als seien wir Deutsche heute ein auffallend geschichtsblindes und traditionsloses Volk" (S. 6). Sebald verfügte über den Vergleich mit England. Die Frage ist - so verstehe ich Sebalds Beschreibung - , inwieweit der kollektiv betriebene Versuch der Erinnerung integriert ist in die Interaktionsformen des Alltags. Daran musste ich gestern denken, als Caren Miosga, die sonst so freundlich-hartnäckige Moderatorin, in den Tagesthemen Manuel Valls, den französischen Ministerpräsidenten, mit ihren robusten Deutungen der Absichten des Regierungschefs so anrempelte wie wir den konfrontativen Umgang  mit manchen unserer Politiker kennen (s. meinen Blog vom 2.12.2013) . Ihren ersten und letzten Satz sagte sie auf Französisch. Immerhin. Für das Interview hatte offenbar die Redaktion sie  mit Sätzen ausgestattet,  die geschichtslos daher kamen und nicht erinnerten an die Leistungen Frankreichs für die Integration der Bundesrepublik in ein nordamerikanisches, westeuropäisches Bündnis-Gefüge und in Europa. Manuel Valls wurde aufgefordert, sich für seinen (vermeintlichen) Bittgang nach Berlin zu rechtfertigen. Das empfand ich als unhöflich, taktlos, undankbar und respektlos den kulturellen Leistungen Frankreichs gegenüber - von denen wir bereitwillig profitiert haben und profitieren.


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