Dienstag, 28. April 2015

Der Prozess am Landgericht Lüneburg gegen Oskar Gröning

Vorgestern, am 26.4.2015, beschäftigte sich die A.R.D.-Sendung Günther Jauch mit dem Lüneburger Prozess gegen den 93 Jahre alten Beschuldigten Oskar Gröning. Oskar Gröning, Mitglied der Schutz Staffel, muss sich seit einer Woche für den Vorwurf der Beihilfe zum Mord in Dreihunderttausend Fällen verantworten; er hatte die Praxis des organisierten Mordens in den Baracken von Auschwitz tabelliert und war damit an ihrem Fortgang beteiligt gewesen. "Was bringt der neue Auschwitz-Prozess", fragte Günther Jauch, wenn siebzig Jahre nach Kriegsende der "SS-Greis" - so nannte er Oskar Gröning -  sich dafür vor Gericht verantworten muss?

Ja, was bringt - wie das beliebte Verbum zur Ertragsfrage lautet - der Prozess? Dazu diskutierten Susanne Frangenberg, die Anwältin des Beschuldigten; Eva Mozes Kor, die mit ihrer Zwillingsschwester aus den Baracken befreit wurde und die vor dem Prozess Oskar Gröning die Hand reichte; Gisela Friedrichsen, Journalistin des Spiegel; Michael Wolffsohn, Historiker, von dessen Familie einige Mitglieder ermordet wurden; Heiko Maas, gegenwärtiger Justizminister des Bundes. Die Frage war umstritten. Eva Mozes Kor plädierte für die Begegnung und den Dialog zwischen den Mördern und den Entkommenen; ein Gerichtsverfahren würde polarisieren und das Opfertum, so ihre Worte, weiter pflegen; sie warb dafür, dass die nationalsozialistischen Straftäter Zeugnis ablegen. Michael Wolffsohn hielt das Gerichtsverfahren für den unangemessenen Versuch, Gerechtigkeit herzustellen; er nannte es ein "Alibiverfahren" angesichts des gravierenden Versagens unserer Nachkriegsjustiz. Gisela Friedrichs votierte gegen eine Begegnung und war auf der Seite der Beschädigten, die mit diesen Menschen nichts zu tun haben möchten, wie sie die nationalsozialistischen Straftäter nannte. Heiko Maas sah die Bedeutung des Gerichtsverfahrens in der Feststellung und Anerkennung des nationalsozialistischen Unrechts und in der strafrechtlichen Verfolgung des Tatbestandes Mord.

Was also bringt der Prozess? Die Frage wurde nicht beantwortet. Sie konnte auch nicht beantwortet werden, weil der Prozess gerade begonnen hat und sein Ausgang oder sein Ertrag noch nicht abzusehen ist. Die Frage dieser Sendung beabsichtigte keine Klärung; sie transportierte den Affekt der Unmut einer lästigen Anstrengung: wieso soll jetzt wieder der Stein der bundesdeutschen Hypothek ungeklärter oder miserabel abgerechneter Schuld-Konten gehoben werden? Schon wieder die Gegenwart der Vergangenheit. Mit anderen Worten: die Sendung Günther Jauch setzte unsere vertraute Konfusions-Maschinerie in Gang. Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer hatten unterschiedliche Positionen und unterschiedliche Interessen und repräsentierten unterschiedliche Kontexte; sie kamen nicht ins Gespräch, weil kein Gespräch entstand. Die Sendung war auch eine Zeitreise durch die sieben Jahrzehnte bundesdeutscher Affekte und eine Besichtigung deutscher und bundesdeutscher Abgründe.

Man kann sich in einem Gespräch darauf einigen, dass man sich auf ein Thema verständigt, das zu erörtern man sich bereit erklärt. Man kann sich in einem Gespräch auch darauf einigen - vom Geschäft der show dazu eingeladen und gedrängt - , das Thema zum Anlass zu nehmen, die eigene Position zu präsentieren (im Sinne der Politik des eigenen Interesses) und die anderen Positionen zu bekämpfen. Heiko Maas widersprach Michael Wolffsohn und warf ihm zweimal vor, er würde historische Aufarbeitung, Wiedergutmachung und Rechtssprechung verwechseln. Dem widersprach Michael Wolffsohn, der sich als Historiker eingeführt hatte; zweimal  korrigierte er Heiko Maas, seinen Namen nicht zu verstümmeln - was der Justizminister bestritt - und verwahrte sich gegen dessen Belehrung. Eva Mozes Kor korrigierte Günther Jauch, dass sie nicht als Opfer adressiert werden möchte (obgleich sie zu Beginn der Sendung als Opfer, wie sie von sich sagte, in die Diskussion eingegriffen hatte) und dass sie nicht nach Auschwitz gekommen, sondern dorthin transportiert worden wäre - woraufhin der Moderator sich korrigierte. Sie wies darauf hin, dass niemand in der Runde ihren (Lebens-bejahenden) Gedanken aufgegriffen hätte. Er war - leider -  offenbar für unsere öffentliche Diskussion neu - in Israel wird er seit einiger Zeit diskutiert und (beispielsweise in gruppentherapeutisch orientierten Begegnungsformen) realisiert.  Das bundesdeutsche Sprechen über den Nationalsozialismus und die bundesdeutschen Narrative wurden getestet. Die Vokabel Holocaust ging  den bundesdeutschen Protagonisten leicht über die Lippen - obgleich uns nicht ansteht, sie zu benutzen, weil wir uns damit auf der Seite der Ermordeten platzieren, wo wir gern wären, aber nichts zu tun haben - , vom Morden und dessen Abgründen zu sprechen war schwer; das Narrativ der Verdrängung unserer Geschichte, das zum Konsensus gewordene Missverständnis der Nachkriegszeit und der Mitscherlich-Lektüre von der Unfähigkeit zu trauern, breiteten Günther Jauch und Heiko Maas aus. Michael Wolffsohn bestritt es. Der Tonfall war auf vertraute Weise gereizt. So hatten andere als die bekannten Gedanken keine Chance. Den Stein gemeinsam zu heben, war zu schwer. Aber wer sich beim TV-Geschäft verhebt, hat zumindest Grund, sich zu bedauern.


(Bearbeitung: 29.4.2015)
      

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