Dienstag, 14. April 2015

Neues zur Heiligen Kuh XIV: Die Soap opera als organisationssoziologisches Konzept

In den 70er Jahren hatten wir Dallas und Dynasty: die U.S.-TV-Serien über schwerreiche Familien und mächtige Industrien. Jetzt haben wir Piech und Porsche. Dazwischen: Martin Winterkorn. Wir haben kein (verdrehtes) ödipales Dreieck (mit dem Sohn zweier Väter) vor uns. Das wäre ein Missverständnis. Sigmund Freuds Satz, dass Soziologie angewandte Psychologie wäre, ist sicherlich falsch. Eine Familie ist kein Konzern und keine Organisation; sie funktioniert anders. Wahrscheinlich sind die Konzern-Familien und das, was als Theater uns zum Frühstück serviert wird, gar nicht so relevant. Chefs werden tendenziell in ihrer Bedeutung überschätzt: die Arbeit machen immer die Anderen, die ihren Chef zum Chef machen und ihn Chef sein lassen. Gute Chefs geben ihren Leuten Raum und lassen sie in Ruhe. Wahrscheinlich geht es im Volkswagen-Konzern (vor allem) um die sich verändernde Bedeutung des Automobils und der Märkte, die möglicherweise für die gewaltige Wolfsburger Produkt-Offensive schrumpfen, so dass die fantasierten Umsatz-Margen sich als illusionäre Einschätzung erweisen und für Aufregung sorgen.

Aber gehen wir zurück zur Soap. Heute in der Süddeutschen Zeitung im Wirtschaftsteil: "Butzi, Burli und der große Krach. Die Familien ringen um die Macht bei Volkswagen. Der Konflikt um Martin Winterkorn hat viel mit ihren alten Rivalitäten zu tun", schreibt Thomas Fromm (14.4.2015, S. 15, Nr. 85). Tatsächlich? Auf derselben Seite schreibt Ulrich Schäfer den aufmunternden Kommentar (für Martin Winterkorn): "Zurücktreten? Nein". Er schreibt weiter: "Denn Winterkorn hat das Vertrauen seines Mentors verloren, der ihn immer gefördert hat. Das ist ungefähr so, als würde Jogi Löw nicht mehr das Vertrauen des DFB-Präsidenten besitzen. Und das ist ungefähr so, als ob Karl-Heinz Rummenigge beim FC Bayern sagen würde: Ich gehe auf Distanz zu Pep Guardiola. Die Konsequenz könnte nur lauten: Ende des Vertrages. Demission. Aus. Schluss." Die verglichen mit dem Volkswagen-Konzern geringe Komplexität der Organisation eines Fußball-Vereins verstehe ich als Metapher zur Illustration schwieriger Macht- und Abhängigkeitsverhältnisse - zum schnellen Verständnis für die eilige Leserschaft, der nicht mehr als Soap-Kitsch zugemutet werden soll. Womit die Leute von der Süddeutschen Zeitung (wer immer dafür verantwortlich ist) allerdings ihre eigene Werbung unterlaufen: Seien Sie anspruchsvoll! Wie kann man anspruchsvoll sein, wenn man anspruchslos bedient wird? Aber das ist hier wohl der erbarmungslose (anspruchslose) Scherz eines eiligen Bloggers.

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