Montag, 27. Juli 2015

Baden im Ressentiment

Der U.S.-Präsident Barack Obama war in Kenia. In der Frankfurter Allgemeine Zeitung wird heute der Besuch kommentiert (27.7.2015, S. 8); der Text ist mit dem Kürzel "stah." versehen. Der erste Satz:
"Obama, lange darauf bedacht, im eigenen Land nicht 'zu schwarz' zu wirken, entdeckt den Kontinent seines Vaters spät". Dieser erste Satz reicht mir. Ich kenne ihn aus der Süddeutschen Zeitung: das dort repetierte Ressentiment, abzulesen an der regelmäßigen Unterschätzung der Komplexität des nordamerikanischen Präsidentenamtes (s. meine Blogs vom 31.1.2014, 30.7.2014, 30.9.2014 und 6.11.2014). Seine Hautfarbe konnte der U.S.-Präsident weder bleichen noch verstecken: sie war stets präsent und sagte genug; aber er war und ist ein Mann der Integration, der, weil er das an ihn adressierte Ressentiment sehr gut kannte und kennt,  seine Worte enorm bedacht wählt und darauf achtet, seine Beziehungen (so weit es ging oder geht) offen zu halten. Der Autor oder die Autorin "stah." hatte die gestrige Sonntagszeitung noch nicht gelesen; dort gab es einen Text über die Eleganz des Präsidenten.

Vielleicht ist das Wort vom Ressentiment zu stark. Aber wie kann man die eigene Selbst-Präsentation so modifizieren, um nicht zu schwarz zu wirken ? Wird der Impuls zur Unterwerfung unterstellt? Man muss sich den ersten Moment einer Alltags-Begegnung vorstellen. Die Wahrnehmung der schwarzen Hautfarbe ist das Erste. Zuerst wird mit einem befangenen, in seiner Reaktion disponierten Blick dessen, der einen anschaut, gerechnet. Wie kann man ihn ertragen? Ich vermute - nach dem, was ich gelesen hatte und was ich mir selbst vorstellen kann: der erste Impuls ist das Ausrechnen der Befangenheit des oder der Anderen. Wie groß ist sie?  In welchem affektiven Spektrum wird sie reguliert? Ist die oder der Andere beschämt oder ärgerlich, weil er oder sie sich bedrängt fühlt? Wie wird gehandelt? Was wird gesagt? Man ist gewissermaßen auf viel gefasst. Der Kommentar ließ die Komplexität der Begegnung nicht erkennen; er verweigerte seine Einfühlung - was Christopher Bollas "unschuldige Gewalttätigkeit" nannte und was an die bei uns weit verbreitete Unterschätzung der enormen Bedeutung, dass Barack Obama als schwarzer Präsident der U.S.A. ins Amt gewählt wurde, erinnert. Manchmal denke ich, was bei uns als Rassismus als schnelles und beruhigendes Etikett gehandelt wird, ist kognitiv griffbereit, aber noch längst nicht affektiv verstanden.


(Überarbeitung: 28. und 29.7.2015)

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