Mittwoch, 8. Juli 2015

Die Gemeinschaft ist (noch) keine Gemeinschaft

Eine alte Regel der Gruppen-Psychotherapie besagt: thematisiert eine Gruppe wieder und wieder ein Mitglied, das für den dysfunktionalen Austausch verantwortlich gemacht wird, dann wird etwas vermieden. Was, muss man herausfinden. Diese Interaktions-Regel auf politische Prozesse anzuwenden, ist natürlich fragwürdig. Aber seltsam ist, wie die Politiker der EU ihre griechischen Kollegen zum Problemfall machen und sich von Sitzung zu Sitzung vertagen, Klärungen vermeiden und offenbar nichts anderes denken können als das Patt zu verstärken. Ohne Reformen kein Geld-Transfer, und ohne Schulden-Milderung kein Reform-Plan. Wenn symmetrische Positionen bezogen werden, wird die Eskalation betrieben. Das wissen auch die EU-Politiker; sie können sich nur auf ein komplementäres Vorgehen nicht verständigen. Der Konflikt liegt zwischen der französischen und der bundesdeutschen Regierung. An welche Regeln hält man sich? Die ersten Regierungen, die sich an die Stabilitätsregeln nicht hielten, waren Deutschlands und Frankreichs Regierungen (in dieser Reihenfolge).

Was macht man, wenn man Regeln bricht? Man verhandelt sie neu - und lässt es nicht laufen. Die europäische Politikerinnen und Politiker haben es laufen gelassen, weil die Regel-Verletzer die mächtigsten Regierungen waren - und sind. Wer schreibt, der bleibt, und wer zahlt, bestellt die Musik. Das sind unsere bekannten Macht-Grundsätze. Dass die Regierung des Landes mit der größten Wirtschaftsleistung auch den Ton angibt, ist für eine Gemeinschaft abträglich. In einer Gemeinschaft sind die Mitglieder gleich; alle tragen bei und alle diskutieren mit; keiner wird ausgeschlossen. Wieso hat die deutsche Regierung das entscheidende Wort? Es wäre klug, sie würde sich zurückhalten.

Es war nicht klug, dass die EU-Gemeinschaft keine den nationalen Interessen übergeordnete Institutionen für eine gemeinsame Politik etabliert hat - sondern sich treiben ließ von den Macht-Interessen der nationalen Regierungen. Deshalb geht es in der jetzigen Krise der Hilflosigkeit, Ohnmacht und Empörung um die Fragen der Gerechtigkeit, Fairness und Anerkennung aller Mitglieder der EU - und um die Frage angemessener gemeinsamer Hilfen. Dass ein Land profitiert, ein anderes zerfällt, geht nicht. Die Idee, ein Mitglied aus der Gemeinschaft auszuscheiden - was die EU-Verträge nicht vorsehen (so viel war damals der Gemeinschaft gedacht worden!) - , legt das Ende der Gemeinschaft nahe. Wenn die Bundeskanzlerin  die Idee der EU-Gemeinschaft wirklich favorisiert, muss sie sie durchsetzen - was die New York Times heute eine "monumentale Aufgabe" nannte -  gegen ihre empörten bundesdeutschen Kollegen, die vielleicht um ihre Wiederwahl fürchten, und gegen einen (veröffentlichten) wachsenden bundesdeutschen Konsensus. Eine Gemeinschaft, in der nicht gemeinschaftlich gehandelt wird, kommt mächtig ins Trudeln. Irgendjemand muss auf die Bremse
treten.

(Überarbeitung: 8.7.2015)  

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