Montag, 27. Juli 2015

"Dahinter steckt immer ein kluger Kopf"

Anfang der 60er Jahre war ich ein Fan von Hans Magnus Enzensberger. Damals - heute nicht mehr - fand ich seine medienkritischen Texte enorm plausibel. Wahrscheinlich war es mehr das (mit ihm vermutete geteilte) Vergnügen am Anrempeln. Einer seiner vergnüglichen Texte hieß: "Journalismus als Eiertanz". Es ging um  die Frankfurter Allgemeine Zeitung. Damals warb sie mit dem Pfeifen-rauchenden Mann auf einer Bank oder einer anderen Sitzgelegenheit, der diese Tageszeitung las, so dass er nicht zu erkennen war - ich hoffe, ich erinnere mich richtig. Dahinter steckt immer ein kluger Kopf, hieß es. Der Slogan war, wie ich fand (in meiner Enzensberger-Koalition), zum Schießen & zum Kugeln. Diese Zeitung würde ich nie lesen, sagte ich mir.

Vorsätze sind dazu da, nicht eingehalten zu werden. Heute lese ich sie. Und vor ein paar Tagen las ich auf der ersten Seite: "Deutschlands Entscheider lesen F.A.Z." (23.7.2015). Und weiter:
"Die Frankfurter Allgemeine Zeitung wird so intensiv wie keine andere Zeitung oder Zeitschrift von den Führungskräften Deutschlands gelesen. Das ist ein Ergebnis des Elite-Panels, in dem das Institut für Demoskopie Allensbach im Auftrag der F.A.Z. und in Zusammenarbeit mit dem Wirtschaftsmagazin "Capital" 500 Spitzenkräfte aus Wirtschaft, Politik und Verwaltung zu ihrem Mediennutzungsverhalten befragt hat".

An wen war diese Nachricht adressiert, dachte ich. An einen Leser wie mich? Sozusagen die Bestätigung meines neuen Abonnements. An die alten Leser? Um die zu bestätigen? An sich selbst? Die Bestätigung des alten, noch immer dienlichen Slogans: dahinter steckt.....? An die Konkurrenz - an die Süddeutsche Zeitung zum Beispiel? An die Agenturen, die die Anzeigen schalten? An die Auftraggeber der Agenturen? Entscheider lesen F.A.Z. So einer war ich - leider - nicht; so einer bin ich - heute schon gar nicht. Entscheider lesen F.A.Z.: was ist mit denen, die nicht entscheiden, sondern nur abonnieren?

Was lesen die Entscheider in der F.A.Z.? Das wird nicht erläutert. Auch nicht, wie lange sie lesen, welche Autorin oder welchen Autor sie lesen, welcher Text von der F.A.Z. erinnert wurde. Wie lange wurden die Entscheider befragt? Auch nach anderen Lektüren? So weit ich Entscheider kenne, lesen sie schnell. Mein Chef las kein Buch - das erklärte er regelmäßig; das Wichtige ließ er sich erzählen. Von den Zeitungen gab es Woche für Woche einen Pressespiegel  - also eine Mappe mit Ausschnitten, die jemand anders ausgeschnitten hatte. Ist das Lesen? Natürlich nicht. Lesen ist eine eigene  Suchbewegung.

Natürlich wüsste ich auch gern, wer sich befragen ließ und wer nicht, und ob die Absagen die Stichprobe gefährdeten. Wurden sie telefonisch befragt oder wurden sie aufgesucht zu einem gründlichen Gespräch? Wahrscheinlich nicht. Wie immer ging es am Telefon ruckzuck: wie viele Zeitungen? wie viele Minuten? welche mehr? welche weniger? lesen Sie? Wahrscheinlich hätte man die Ausschneider statt die Entscheider befragen sollen.

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