Dienstag, 15. September 2015

Die Rhetorik der Überraschung

"Merkels Kehrtwenden", überschrieb Holger Steltzner heute in der Frankfurter Allgemeine Zeitung (15.9.2015, Nr. 214, S. 15) seinen Kommentar zur Politik der Bundesregierung. "Möglicherweise", räumte er ein, "stimmt das von den Medien so gern gezeichnete Bild einer stets rational kalkulierenden Physikerin gar nicht (immer). Schon einmal vollzog Merkel eine überraschende Kehrtwende. Auch vor der Energiewende sorgten Fernsehbilder in Japan für überschießende Emotionen in der deutschen Bevölkerung".

Was ist an der "Kehrtwende" - überraschend? Gar nichts. Wohl ist sie seltsam. Die jetzige Großzügigkeit der Bundesregierung ist Ausdruck ihrer an dem Macht-Erhalt orientierten Politik der Planlosigkeit und Hast. Ihr Yes, we make it (Wir schaffen es) ist die großspurige Paraphrase des Obamaschen Yes, we can. Das Können ist ein vorsichtig-kraftvoller Appell, das Schaffen die vertraute rührselige Umarmung. Der überraschte Journalist hat sich offenbar einlullen lassen. Erstaunlich ist seine Nachsicht. Sein Geschäft besteht doch darin, regelmäßig und systematisch zu prüfen, ob unsere Regierung ihre Hausaufgaben macht.

Auf derselben Seite, neben dem Kommentar, findet sich der Text mit dem Titel: "Die Energiewende wird wieder etwas teurer". Noch eine Überraschheit. Wenn man die Vokabeln unserer Bundesregierung perpetuiert (Beispiel: Energiewende), muss man sich nicht wundern, wenn man den Kopf verliert. Etwas teurer ist ein inflationärer Komparativ. Es ist abzusehen, dass er noch mehrfach gesteigert werden muss. Die Kosten kann keiner abschätzen. Sie werden enorm sein. Das war in den 70er Jahren schon bekannt. Damals wurde - leider ist mir die Erfinderin oder der Erfinder nicht so schnell zugänglich - die geplante Praxis der atomaren Energie-Erzeugung mit dem Bild eines Flugzeugs verglichen, das mit der vagen Hoffnung startet, dass während des Flugs eine Landebahn gebaut werden kann. Seitdem haben unsere Regierungen das Projekt des Baus einer Landebahn vor sich her geschoben. Jetzt soll sie ganz schnell gebaut werden. Wieso soll es jetzt schnell gehen?

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen