Dienstag, 22. September 2015

Neues von der Heiligen Kuh XV: sie irrt herum und weiß nicht, wohin

Vor ein paar Tagen blendeten noch der Glanz des Lacks und der Glamour der mächtigen Herren. Manche gaben sich elektrisiert: der Fortschritt! Der Fortschritt?  Vorgestern kehrte eine mächtige Ernüchterung ein. Der Chef von VW, Martin Winterkorn, bedauerte den Vertrauensverlust. "Es tut mir unendlich leid", sagte er heute, am 22.9.2015. Die verbalen Tränen des Leid-Tuns sind zu wenig. Das Wort Betrug ging ihm nicht über die Lippen -  die leitenden Damen und Herren von Volkswagen ließen für einen sauberen Dieselmotor in Nordamerika werben und wussten, dass er nicht sauber ist. Die U.S.-Ermittlungsbehörden werden schnell ein Wort gefunden haben. In der Washington Post und der New York Times kann man jetzt nachlesen, dass seit Mai 2014 die Diesel-Fahrzeuge von VW moniert wurden. Am 2.12.2014 versprach VW der U.S.-Behörde, eine Lösung gefunden zu haben.

Dieser Millionen-fache, Milliarden-schwere, systematische, strafrechtlich und zivilrechtlich gravierende Betrug hat enorme Ausmaße. Man muss sich kneifen. Es ist nicht zu fassen. Ein Konzern zerlegt sich. Dieser Betrug hat viele Lesarten. Er sagt viel über die Leitung dieses Konzerns. Ob Ferdinand Piech dies gemeint hatte? Was man heute sagen kann: wir  wurden neulich bei den Neuigkeiten aus Wolfsburg abgespeist und wir ließen uns abspeisen mit dem Narrativ einer soap opera:  Machtkampf in der Familie - Sohn stinkt gegen Vater an und gewinnt! (s. meinen Blog vom 14.4.2015). Es läuft etwas anderes Vertrautes: wir ahnen die Umrisse einiger leitender deutscher Herren in der bekannten Kaltschnäuzigkeit und reuelosen Rührseligkeit. Wir sehen: die Versäumnisse unserer Presse, die die mächtigen Herrschaften unzureichend konfrontierte.

Wir sehen eine Industrie in Not. Die Firmen Apple und Google sind künftige Konkurrenten am Markt. Die westdeutsche automobile Hochrüstung mit ihren eindrucksvollen Leistungsdaten - begonnen in den 70er Jahren, als nur ein paar Typen schneller als 200 km/h fahren konnten - stößt an ihre Grenzen. Verbrennungsmotoren sind Energie-Verschwender und Klima-Schädiger. Das Bolzen mit Pferdestärken und Drehmomenten ist old-fashioned. Wer will einen Riesen-Schlitten mit gutem Gewissen durch die Gegend bewegen? Die Antwort unserer Autoindustrie: wir machen ein digitalisiertes Wohnzimmer draus, das von einem System von Sensoren und Rechnern bewegt wird. Eine treuherzige Schnapsidee zur Verkehrssicherheit: ob das System das leistet, ist die Frage; die notwendige Infrastruktur könnte die Automobilindustrie nicht aufbringen. Die Antwort unserer Regierung könnte sein: wir investieren jetzt mächtig und nachhaltig in  den öffentlichen Verkehr und begrenzen die Verschwendungsbewegungen. Und was ist mit dem Elektroauto? Es ist das Vehikel zur Beruhigung des schlechten Gewissens. Es fährt mit dem Aufkleber: wir tun was. Es ist nicht schlecht für den, der auf dem Dach seinen eigenen Strom produziert, eine große Steckdose hat, keine großen Bewegungen damit unternimmt und noch ein Auto mit dem Verbrennungsmotor für die großen Entfernungen in der Garage stehen hat. Es ist das  Mittel unserer Industrie, die Verbrauchswerte der großen Schlitten mit den Verbrauchswerten der leise summenden Fahrzeuge zu verrechnen - so soll alles beim alten bleiben und die Kennwerte erfüllt werden. Ein Betrug der anderen Art. Wer sollte eigentlich  die Infrastruktur unzähliger, besonders leistungsfähiger Steckdosen (Stückpreis: € 1.000,00)  bezahlen? Und wer den Strom für diese Steckdosen liefern? Und wie? Die Autoindustrie rechnete mit einer wohlwollenden, blauäugigen Regierung. Sie schuf die Fakten einer vermeintlichen Nachfrage und versprach das saubere Auto. Das wissen wir nun endgültig: gibt es nicht.  Die Politik gegenseitig geteilter Illusionen ist zu Ende. Der Kater kommt.


(Überarbeitung: 25.9.2015)

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