Dienstag, 27. Oktober 2015

Unser Schlaumeier II: "Wohnst du noch oder lebst du schon?"

Ich stelle mir vor: dass Hans Magnus Enzensbergers Lieblingsmärchen die Geschichte vom Hasen ist, der vergeblich gegen das Igel-Paar anrennt - mit dem Unterschied, dass er beides repräsentiert: den  Sprinter und den Ausgebufften, der regelmäßig triumphiert: ich bin schon vor euch da!

Schwärmt ihr noch, oder denkt ihr schon? heißt sein neuer in der Frankfurter Allgemeine Zeitung veröffentlicher Text (22.10.2015, S. 11, Nr. 245) mit dem Untertitel: Einzeln ist der Mensch erträglich, im Rudel weniger. Wieso man von "Schwarmintelligenz" redet, ist mir deshalb schleierhaft. Wir sollten unsere Schwarmphase so bald wie möglich hinter uns lassen. Anmerkungen zu Mensch und Tier.  Hans Magnus Enzensberger dankte für den Frank-Schirrmacher-Preis.

Die uralten Fluchtbewegungen von Millionen Menschen, die ihre Existenz zu retten suchten und zu retten suchen, mit den Tier-Schwärmen zu vergleichen, wirkt hochnäsig und verniedlicht die Lebensrealität der Tiere und der Menschen. Der Schwarm als Metapher trägt Enzensberger weit: er benutzt ihn für die Überlebens-Bewegungen von Vögeln, Insekten, Fischen - und Menschen; er karikiert die Autofahrerinnen und Autofahrern, die sich in Staus wiederfinden, die, die sich im Internet bewegen, und die, die als sein Lieblingsobjekt der Verachtung herhalten müssen: die Touristen - allerdings hat er die vergessen, die in ihrer Bewegung des Idolisierens für einen Star schwärmen. 

Die Schwarmintelligenz adressiert Hans Magnus Enzensberger  an seinen erfolgreichen Kollegen Frank Schätzing. Enzensberger, der einmal die Katastrophe der Pressefreiheit im Merkur beklagte, beobachtet anders als der von ihm zitierte Entologe Gottfried Samuel Fraenkel das wuselige Treiben und Diskutieren seiner Landsleute, denen es schwer fällt, die Vogelperspektive zu ergattern. Die hat Hans Magnus Enzensberger besetzt. Er spottet von oben. Offenbar kennt er  die Kölner Papageien nicht, die sich mit einem faszinierenden Gekreische hier und da auf einem Baum treffen. Dass er - oder war es jemand aus der Redaktion der Frankfurter Zeitung? - für seinen Text den Slogan von IKEA bemüht, diesem Möbelhaus, zu dem Woche für Woche Tausende pilgern, ist eine Art von Umarmungssehnsucht mit den von den Schweden  fröhlich gestimmten jungen und nicht mehr so jungen Leuten. So weit ist er nun doch nicht entfernt von den Schwärmern für ein Billy-Regal.

(s. meinen Blog vom 16.3.2014)
(Überarbeitung:  30.10.2015)

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