Mittwoch, 1. März 2017

Journalismus-Lektüre (Beobachtung der Beobachter) XXXXXIII: die Lügen, oh die Lügen! Die hilflosen/ängstlichen Beobachter

Das stärkste Argument beim Lügen hatte meine Großmutter: Wenn das nicht stimmt (was ich gerade behauptet habe), dann will ich tot umfallen. Bislang hat Donald Trump dieses Argument nicht benutzt; er schließt seine Tiraden, worauf Jon Stewart gerade hinwies, mit der Beschwörung: Believe me! Das ist eindeutig schwächer als die Drohung meiner Großmutter. Ihren Tod wollten wir nie mit kritischen Nachfragen riskieren. Aber ihre Unverfrorenheit machte mich rasend. Jürgen Barschel, Ministerpräsident von Schleswig-Holstein, sagte damals (Ende der 70er Jahre) vor laufenden Kameras und offenen Mikrophonen: Ich gebe Ihnen mein Ehrenwort. Als ich das damals im Fernsehen sah und hörte, habe ich ordentlich gelacht. Als Angela Merkel 2013 nach der Sicherheit unserer Atomkraftwerke gefragt wurde, sagte sie (sinngemäß): Wenn sie nicht sicher sind, würde ich meinen Amtseid verletzen. Da habe ich auch ordentlich gelacht: es klang wie bei meiner Großmutter. Als sie sagte: Unter Freunden spioniert man nicht - musste ich auch lachen: ihre Empörung als Mittel der Lüge. Als Matthias Müller von VW grandios die Offenheit versprach, musste ich auch lachen: er sprach genau wie ein Betrüger. Und tatsächlich hat er seitdem jedes Mal gelogen, als er Aufklärung, Besserung, eine neue Kultur, ein anderes VW versprach. Das wird bei uns nicht nachgehalten - die Empörung über den Dauer-Betrug ist bei unserer sonst so Empörungs-begeisterten Öffentlichkeit empörend leis'.

Mit anderen Worten: die Lüge ist auch ein Test ihres Adressaten. Was hält man für plausibel, wahrscheinlich, möglich?  Man muss natürlich den Kontext mit berücksichtigen. Außerdem liegt man manchmal mächtig daneben. Aber die Geschichte der Kontexte hilft. Der U.S.-Präsident will seine weiße Weste behalten; er kämpft dagegen an, dass sie zunehmend fleckig wird. Je fleckiger, umso wütender schlägt er um sich. Jürgen Barschel kämpfte um die Vertuschung seiner dirty tricks,  mit denen Björn Engholm in die Defensive bugsiert werden sollte - möglich, dass Björn Engholm mit seinen tricks mitmischte. Das ist nur ein Verdacht, neulich in einem Leserbrief an die Zeitung für die klugen Köpfe aufgeschnappt. Wer weiß. Die Kanzlerin beruhigte uns mit einem schlappen Argument und schob dann einen Tag später, nachdem sie den Satz der Beruhigung zum besten gegeben hatte, das Moratorium und dann die Energiewende nach. Wie nennen wir dieses Manöver? Wieder eine Nebelkerze aus dem Lügen-Repertoire  im Dienste des Machterhalts. Matthias Müller folgt der Öffentlichkeitspolitik seiner juristischen und anderer Berater: nichts zugeben, um den Schaden klein zu halten! Das ist das übliche Verhalten bei Betrügereien: man spielt auf Zeit. Mal sehen, was kommt, sagt sich der Betrüger; sollen sie mal kommen.

Die Lüge ist natürlich ein bescheidenes Konzept mit einem mächtigen Vorwurf. Es ist ein Passepartout-Wort für eine Vielzahl von Aktivitäten. Es ist ein Aufschrei der Forderung von Aufrichtigkeit und Redlichkeit. Es berücksichtigt nicht die Wahrheit der Lüge. Außerdem impliziert es die Kenntnis der eigenen Kontexte. Seit Freud wissen wir: wir wissen von uns wenig. Aber als ein aufklärerisches Kampf-Wort ist es nicht schlecht. Der große Journalist Isidor Feinstein Stone (1907 - 1989) arbeitete mit der Hypothese: Alle Regierungen lügen - und arbeitete effektiv damit. Die Lüge zu finden, ist die gute journalistische Tradition des muckraking - des Dreck-Aufkehrens. Die Lüge ist gewissermaßen der Normalfall. Das gilt auch für unseren Alltag: wenn wir daran denken, was wir nicht sagen. Andererseits ist die Lüge hilfreich: wir können uns nicht jeden schlichten, bösartigen, beschämenden Gedanken sagen; eine Lüge schützt auch. Aber die Lüge passt nicht so recht zu unserem Journalismus, der eine Beiß-Hemmung hat - er fürchtet offenbar die zivilrechtlichen Klagen, wenn er eine Lüge öffentlich vermutet und die Vermutung als Verleumdung zivilrechtlich bestritten wird: dabei wären solche Verfahren der Klärung doch aufklärend. DER SPIEGEL zehrt noch immer vom Renommé, den widerrechtlichen Übergriff der damaligen Regierung (1962) gut überstanden zu haben.

Mein Beispiel folgt.

Über Donald Trump kann man sich einfach ausschütten. Aber so einfach ist es nicht. Vorgestern gab es in der Zeitung für die klugen Köpfe den alarmierenden Text: "So lügen Sie mit dem größten Erfolg" (27.2.2017, S. 9). Unterzeile: "Die hinterhältige Geheimdienstschule des russischen Journalismus lehrt die moderne Welt den Medienkrieg". Was ist das? Die hinterhältige Geheimdienstschule? Dabei haben doch unsere Herren in Braun, Schwarz oder Grau der Welt vorgeführt, wie man das macht. Zum Dämonisieren ist die Metapher russisch gut. Jetzt glauben wir zu wissen, was aus dem Oval Office auf uns zukommt. Kerstin Holm ist die Autorin des Textes. In ihrem letzten Satz zitiert sie  den russischen Autor Dimitri Bykow : "Aber jede Supermacht, so Bykow, erschaffe sich eben auch den ihr gemäßen Clown". Wenn es so einfach wäre: der U.S.-Präsident ein Clown. Er ist es nicht. Adolf Hitler war auch kein Clown - auch wenn Charlie Chaplin ihn so karikierte. Der Clown ist Ausdruck der Verachtung: billiges Mittel der Selbstberuhigung. Die Rückseite der Verachtung ist die erlebte Hilflosigkeit. Wir können, wenn wir wollen, ein Grundgefühl der  30er Jahre bei uns nachschmecken - auch wenn die demokratischen Institutionen in den U.S.A. stabil sind. Aber wer weiß? Im neuesten The New Yorker (27.2.2017, S. 22) schrieb George Packer: "If Trump were more rational und more competent, he might have a chance of destroying our democracy". Er macht viel Arbeit. Die kritische U.S.-Öffentlichkeit muss gegenhalten und ihn (und seine wilden Berater) von Fall zu Fall, Satz für Satz widerlegen. Anders geht es nicht. Lügen ist nicht so sehr das Problem - erst wenn wir sie zur Wirklichkeit werden lassen, weil wir ihnen nicht genügend widersprechen.            

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