Donnerstag, 12. Dezember 2013

Die spitzen Finger der öffentlichen Diskussion

Heute in der SZ auf Seite 5: "Die Demokratie der Besserverdienenden. Wer beteiligt sich an Wahlen, wer bleibt lieber daheim? Die Bertelsmann-Stiftung legt eine Studie vor, deren Ergebnisse erschrecken".

Erschrecken sie? Wen?

Der Autor des Textes, Detlev Esslinger, bilanziert die Studie: "Je prekärer die Lebensverhältnisse, desto eher geht jemand nicht zur Wahl". Beispiel: die Wahlbeteiligung im Kölner Villenviertel Hahnwald lag bei 89 Prozent, im Stadtteil Chorweiler, der als sozialer Brennpunkt gilt, bei 42 Prozent. "In Chorweiler beträgt die Arbeitslosenquote 19 Prozent, in Hahnwald ein Prozent. Dahinter verbirgt sich zudem, dass die Prozent-Abstände zwischen den Bezirken mit den niedrigsten und denen mit der höchsten Beteiligung immer größer werden. Und dahinter verbirgt sich, was man zum Beispiel in Hamburg feststellen kann. In den Stadtteilen mit der niedrigsten Beteiligung finden sich, gemessen an den Stadtteilen mit der höchsten Beteiligung, 36-mal so viele Haushalte aus ökonomisch schwächeren Milieus, doppelt so viele Menschen ohne Schulabschluss, fünfmal so viele Arbeitslose".

Christoph Butterwege ist der Kölner Politikwissenschaftler, der seit langem die psychosozialen und politischen Folgen des Prozesses der Verarmung untersucht - der auch schon für die Außenansicht der SZ Autor und in den TV-Rederunden Fachmann war. Wissenschaftler benutzen aus guten Gründen ein temperiertes Vokabular. Sigmund Freud hatte ja die Hoffnung, dass die leise, aber ständige Stimme der Wahrheit gehört werden würde. Der Prozess der Verarmung ist ein Prozess der psychosozialen Vernichtung -  der Begriff der Exklusion ist dafür ein elegantes (lateinisches), aber ein schwaches Wort - : ein Prozess des selbst-zerstörerischen Rückzugs aus enorm unbefriedigenden, weil permanent kränkenden und demütigenden  Alltags-Beziehungen (im öffentlichen, nicht privaten Kontext) oder Lebensbedingungen. Das Schul-schwänzende Kind, das die familiäre Not austrägt, protestiert noch vergleichsweise laut gegen seine Lebenssituation; der Erwachsene, der nicht wählt, ist verstummt.

Wo ist der öffentlich geführte Protest gegen diesen Prozess des Ausschlusses? Die Dialektik von Einschluss und Ausschluss ist heikel: sie verstärkt die Verteilungsverhältnisse und das Sträuben gegen das Abgeben. Womit wir beim Grundproblem sind und eine Antwort auf die Frage haben, warum die Mittel zur Linderung der Verarmung zu schwer zu etablieren sind.

Immerhin: es gibt gute Nachrichten. Die U.S.A. führen die Volcker-Regel ein (SZ vom 10.12.2013, Nr. 285, S. 29):
"Banken ist nicht gestattet, sich an Hedgefonds und Private-Equity-Fonds zu beteiligen, sie zu besitzen oder zu finanzieren und Eigenhandelsgeschäfte auf eigenes Risiko zu tätigen. Banken müssen ihre Wertpapier-Handelstätigkeit auf Kundenaufträge beschränken und dürfen selbst keine riskanten Positionen aus eigenen spekulativen Motiven eingehen".
Das ist doch Fortschritt. Die Dialektik des Einschlusses und des Ausschlusses wird gebremst. Hoffentlich.

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