Dienstag, 3. Dezember 2013

Nachschlag zur Manege des TV-Journalismus

Heute Morgen in der SZ (3.12.2013, Nr. 279, S. 5): "Er kann auch anders. Sigmar Gabriel gibt ein versöhnliches ZDF-Interview - sagt aber auch rätselhafte Dinge". Christoph Hickmann ist der SZ-Autor, der das Gespräch der ZDF-Journalistin Bettina Schausten und ihres Kollegen Peter Frey mit Sigmar Gabriel bilanziert. Er kann auch anders ist die Beschreibung, die (wiederum: s. Blog vom 2.12.2013) die Interaktion nicht in den Blick nimmt: die inszenierte Situation der Sendung Was nun, Herr Gabriel? war anders. Bettina Schausten schlug mit ihrer ersten Fragen einen anderen Ton (als ihre Kollegin Marietta Slomka) an:
"Was nun, Herr Gabriel - ein Interview, zu dem wir uns schon vor zehn Tagen verabredet haben. Ihr letzter Auftritt im ZDF vergangenen Donnerstag im Heute Journal hat ja für ordentlich Furore gesorgt wegen des Schlagabtauschs mit Marietta Schlomka. Mein Eindruck  war: die Nerven lagen schon ziemlich blank bei Ihnen. Ist das so eng mit dem Mitgliederentscheid?"

Der erste Unterschied zum vergangenen Donnerstag: der damalige Subtext war hier der Text der Frage Ist das so eng?, die sich direkt nach Sigmar Gabriels Verfassung erkundigte. Dessen Antwort war: "Ich bin jetzt gar nicht so sicher, bei wem von uns beiden die Nerven blank lagen - aber das war ja eine Veranstaltung, dass die Zustimmung sehr groß geworden ist zum Koalitionsvertrag. Ich glaube, wir werden eine breite Zustimmung bekommen". Der zweite Unterschied: Sigmar Gabriel räumte seine prekäre Verfassung ein, gab Frau Schausten Recht und relativierte sein Zugeständnis mit dem Hinweis auf die ZDF-Kollegin.

"Verstehe ich Sie richtig", fragte Frau Schausten nach, "war das so kalkulierte Pampigkeit bei Ihnen - denn in Hofheim selbst, da haben Sie die Reihen ja geschlossen". Der dritte Unterschied: Frau Schausten explorierte die Verfassung des SPD-Vorsitzenden weiter, indem sie ihr Verständnis anbot. Sigmar Gabriel antwortete: "Frau Schausten - Sie wissen, das wäre mir doch wesensfremd. Nein, das war ein spontanes Interview - Frau Slomka hat mich mit verstärkter Höflichkeit gefragt und ich habe mit verstärkter Höflichkeit geantwortet". Der vierte Unterschied: Sigmar Gabriel gelang eine selbstironische, humorvolle Geste. Der fünfte Unterschied: Er konnte von einer symmetrischen Interaktion (wie du mir, so ich dir) sprechen. Der sechste Unterschied - in einem Wort: Es fand ein Gespräch statt. 

Die Manege wurde nicht inszeniert. Bettina Schausten und Peter Frey hatten sich eine Haltung des Gebens und Nehmens, die zu einem Gespräch gehört, vorgenommen; sie hatten offenbar keine Gesprächs-fremden Interessen - abgesehen (vielleicht) von der Absicht, einen entgleisten Machtkampf im Dienste des Bildes ihres Senders zu reparieren, um sich später wieder in die Augen sehen zu können. Sigmar Gabriel hatte sich (offenbar) beraten lassen, besonnen zu reagieren und zu argumentieren. TV-Journalismus lebt nämlich von der Beziehungsfähigkeit und dem Beziehungsvertrauen der Beteiligten - ein Kontakt im Fernseh-Studio ist ein interaktiver, wenn auch öffentlicher, aber auch sehr intimer Prozess, bei dem die Integrität und Fairness der Beteiligten getestet wird, nicht bloß ein gegenseitiges, zynisches Geschäft mit Einschaltquote und Wählerzustimmung, mit kalkuliertem Exhibitionismus und forciertem Voyeurismus.

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