Mittwoch, 19. November 2014

Internet-Sorgen

Heute, im Feuilleton der SZ (19.11.2014, S. 11, Nr. 266), sorgt sich Alexandra Borchardt um die Wirkungen des Internets. "Keine Frage der Macht. Funktioniert eine Demokratie ohne Institutionen?", fragt sie im Titel ihres Textes. Sie beschreibt unsere Lebensverhältnisse:

"Der Marsch durch die Institutionen war gestern, heute reicht der Sprint durch die sozialen Netzwerke. Politiker spüren das, Manager, Ärzte oder Behörden, deren Erkenntnisse und Leistungen ständig im Netz infrage gestellt werden: Formale Autorität zählt weniger als je zuvor. Die digitale Welt stürzt Institutionen in die Krise".

Dieser Blog hier ist natürlich auch eine subversive Angelegenheit und stürzt (wahrscheinlich nicht) die Süddeutsche Zeitung in die Krise (s. auch den anderen Blog von heute). Mir fällt wieder meine Großmutter ein: ihre stärkstes Argument, um eine Behauptung durchzusetzen, war die Drohung, tot umzufallen, sollte sie falsch liegen. Ich brauchte als Kind Jahre, ihren Bluff zu durchschauen. Diese Autorität plusterte sich also in ihrer Not mächtig auf. Dann wurden in unserer eigenen Familie (mit zwei Söhnen, einer Tochter) bei Streitigkeiten die Bände des Meyers Enzyklopädisches Lexikon aus dem Wohnzimmer geholt mit den deprimierenden Erfahrungen des Vaters, der feststellen musste, dass sein Wissen, anders als die selbstironische englische Formel besagt, auf eine Briefmarke passt: was weiß man schon genau?
Heute ist das iPhone blitzartig bei der Hand. Ist das schlecht?

Nein. Das Nicht-Wissen ist heute enorm. Von Niklas Luhmann stammt die Beobachtung, dass Wissenschaft das Wissen und das Nicht-Wissen gleichermaßen vergrößere.  Der Bürger, der Patient, der Angestellte, der Student und der Schüler werden hier und da (oder mehr - wer weiß das?)  eingelullt von einer Rhetorik des Durchmogelns. Wo wissen wir wirklich Bescheid? Etwas nicht zu wissen, wird ungern zugegeben. Dabei geht es doch darum, dass wir uns trauen redlich zu sein. Eltern müssen nicht besonders schlau sein - es gibt ja das Internet - , sondern redlich und ihre Kinder fair behandeln. Im Internet geht heute nichts verloren. Man kann überprüfen, was getan und was gesagt wurde. Man kann seine Meinung sagen. Das Gefühl von Ohnmacht mildert sich - ein wenig. Unsere demokratischen Institute werden davon nicht bedroht: sie geben uns den Rahmen für unsere Bewegungen. Bedroht werden die Repräsentanten von politischer, ökonomischer, künstlerischer, medialer und  wissenschaftlicher Macht, die vor allem das Geschäft ihrer Macht im Blick haben. Das demokratische Ideal wacher, lebendiger und gut informierter Bürgerinnen und Bürger wird hier und da eingelöst. Soll das schlecht sein? Was soll ich von einer Zeitung halten, in der sich eine Autorin fürchtet wie meine Großmutter früher, was sie uns mit diesen Sätzen mitteilte: was sollen bloß die Leute denken? Bloß keine Blöße geben!

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