Montag, 26. Januar 2015

Die Kunst des Kränkens

Sie ist natürlich keine Kunst. Die Kunst besteht darin, seine Auffassung so zu sagen, dass jemand, der anderer Auffassung ist, sich nicht wie mit einer nassen Badehose ins Gesicht geschlagen fühlt - das war eine der Lieblingsbeschreibungen meines Vaters für robuste Kränkungen. Kränkungen leben von der Lust am Zuschlagen und versuchen eine Bewegung der Differenzierung: mit dir will ich nichts zu tun haben! Das Problem stellt sich zur Zeit mit den Leuten, die sich in Leipzig treffen und trotzig behaupten: Wir sind das Volk! Der  Satz ist nicht verkehrt, aber unscharf: unklar ist, wen sie vom Volk vertreten. Zwanzigtausend Leute sind, sozialwissenschaftlich gesehen, eine stattliche Stichprobe. Wie gut oder wie repräsentativ diese Stichprobe ist, muss man sehen. Daran wird zur Zeit geforscht.

Forschung forscht bedächtig. Was macht man, bis die Ergebnisse vorliegen, mit diesem Volks-Teil ?
1. Kränkung. Beispiel Kurt Kister von der Süddeutschen Zeitung (26.1.2015, S. 5). Er spricht von "Teilen der Dresdner Latsch-Bewegung". In Latschen laufen die meisten wohl nicht herum, wohl in festem Schuhwerk. "Nazis, Hooligans, Fremdenfeinden und ähnlichem völkischen Volk" - nennt er: "widerwärtige Minderheit". Widerwärtig transportiert eine kräftige Kränkung. Der Autor schüttelt sich.  Offenbar rechnet der Autor diese Minderheit weder zum Abonnentenkreis seiner Zeitung noch zum Kreis künftiger Abonnenten. Wie war das mit der Würde des Menschen?
2. der Zeigefinger der Missbilligung mit dem Aufruf zu anständigem Benehmen. Neulich hatten wir unseren Justizminister (s. meinen Blog vom 18.12.2014), jetzt haben wir unseren Außenminister, der daran erinnert, was wohl die Leute denken (im Ausland).
3. Schneiden oder Nicht-Schneiden. Die Meldung dazu in der Süddeutschen Zeitung (26.1.2015, S. 5):
"Gabriel düpiert Generalsekretärin. Fahimi lehnt Dialog mit Pegida ab. Ihr Chef ist anderer Meinung".
Was ist so gefährlich am Dialog? Wenn man mit jemandem spricht, heißt das noch nicht, dass man
nicht anderer Auffassung sein und das besprechen kann. Im Politiker-Jargon heißt das aber: aufwerten. Der Chef trifft sich nur mit ausgelesenem Personal; seine Zuwendung versteht er als Auszeichnung. Muss man nicht. Chefs erkennt man daran, dass sie ihr Ohr leihen, aber ihr Gesicht abwenden. Übrigens schrieen damals die Politiker der Union so auf, als die sozialdemokratische Regierung mit der ostdeutschen Regierung Gespräche begann. Damals, in den 70er Jahren, versuchte die Regierung, die konservative Politik der systematischen Kränkung der ostdeutschen Republik zu beenden. War das ein Theater! Vielleicht holt jemand die alten Bundestagsprotokolle hervor.
4. Sprechen. Das versuchte Frank Richter, Leiter der Landeszentrale für politische Bildung in Sachsen. War das verkehrt? Wahrscheinlich war der Kreis, der sich bei ihm traf, überschaubar: ein Gespräch konnte statt finden.

Und wie verstehen wir, was zur Zeit läuft? Das Volk ist sich fremd. Das war schon immer so. Temperierte Affekte sind willkommen. Krude Affekte kumulierter Kränkung (in Verhältnissen der Armut und Exklusion) nicht. Zweitens: 1945 kommt wieder. Im Kino und im Fernsehen. 1945 ist das Datum der Zerschlagung des kriminellen, mörderischen deutschen Systems und der Ernüchterung über die monströsen deutschen Verbrechen. Seitdem hat das Eigenschaftswort deutsch, das die nationalsozialistische Propaganda so herausdröhnte, einen anderen Klang, an den wir uns noch gewöhnen müssen. Das fällt, wenn wir in alle Richtungen der Republik hören, nicht nur einigen Dresdnern schwer.

Die Meldung auf der ersten Seite der Süddeutschen Zeitung (26.1.2015): "Die meisten Deutschen wollen den Holocaust hinter sich lassen" - laut einer gerade vorgelegten Studie der Bertelsmann-Stiftung. Klar doch: denn 1945 ist 2015 gegenwärtig wie eh. Ich wünsche mir eine Studie, die sich nicht nur auf ausgestanzte Fragen nach vermeintlich vertrauten Vokabeln - wie dem Holocaust, diesem noblen Wort aus der Perspektive der Opfer, das uns zu gebrauchen nicht zusteht, weil damit über die Realität der deutschen mörderischen Orgie hinweg geredet wird - verlässt, sondern mit ausführlichen Interviews nachfragt nach der bundesdeutschen Last.

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