Mittwoch, 28. Januar 2015

Auschwitz, 27. Januar 2015

"Wenn man von der Tortur spricht, muß man sich hüten, den Mund voll zu nehmen", schreibt Jean Améry in seinem Buch Jenseits von Schuld und Sühne. Bewältigungsversuche eines Überwältigten (S. 47). Er schreibt dort weiter: "Was mir in dem unsäglichen Gewölbe von Breendonk zugefügt wurde, war bei weitem nicht die schlimmste Form der Folter. Mir hat man keine glühenden Nadeln unter die Fingernägel getrieben, noch hat man auf meiner nackten Brust brennende Zigarren ausgedrückt. Nur das stieß mir dort zu, wovon ich später noch werde erzählen müssen; es war vergleichsweise gutartig, und es hat auch an meinem Körper keine auffälligen Narben zurückgelassen. Und doch wage ich, zweiundzwanzig Jahre nachdem es geschah, auf Grund einer Erfahrung, die das ganze Maß des Möglichen keineswegs auslotete, die Behauptung: Die Tortur ist das fürchterlichste Ereignis, das ein Mensch ins sich bewahren kann" (S. 47 - 48).

Was mich stört, ist die Routine, mit der über die Barracken des Terrors und des Mords gesprochen wird: Auschwitz und Holocaust. Gestern, in den Tagesthemen, wurden einige Überwältigte - um Jean Amérys Wort zu gebrauchen - vor laufender Kamera und offenem Mikrofon befragt - mit der eingeblendeten Zeile: Holocaust-Überlebende. Ein unangemessenes Unterfangen, sich dem irreparablen Leid zu nähern. Holocaust-Überlebende ist eine Formel, die weit entfernt ist von der erlebten Wirklichkeit der systematischen Entmenschlichung in den Anlagen des Mordens. Sie dient der Beruhigung.

"Man kann nicht fassen, was in Auschwitz geschah", schreibt Matthias Drobinski in der Süddeutschen Zeitung vom 28.1.2015 (S. 4). Warum nicht? "Der tiefere Grund aber", führt er später im Text aus, "ist die Angst, die Unfähigkeit und manchmal auch der Unwille, in den Abgrund zu schauen, der sich auftut, wenn man an Auschwitz denkt, an das Unfassbare, das Mark und Seele Erschütternde: Der Boden ist dünn, auf dem wir stehen". Nein, er ist einigermaßen dick: denn wir leben in einer demokratisch verfassten Gesellschaft, deren Institutionen intakt sind. Sobald die nationalsozialistische Regierung sich Anfang 1933 etabliert hatte, begann sie die demokratische Verfasstheit Deutschlands zu zerstören und die Entdifferenzierung der Gesellschaft mit der legitimierten Illegitimität grenzenloser Willkür zu beschleunigen. An den Prozess der Entdifferenzierung muss man denken, um die mörderische Orgie, die nicht nur in den Anlagen des Mordens realisiert wurde, sondern ebenso von den so genannten Einsatztruppen der so genannten Schutz Staffel im Osten Europas, zu verstehen zu versuchen.

"Es waren keine Wesen vom anderen Stern, die die Menschen in die Gaskammern trieben", schreibt Matthias Drobinski weiter, "es war die Generation der Eltern, Großeltern und Urgroßeltern der heutigen Deutschen". Ja, wer war es? Die Generation ist unscharf. Es fehlt schwer, die Mörder in den Blick zu nehmen. Es fällt schwer, in den von Matthias Drobinski angedeuteten Abgrund zuschauen - in den Abgrund des Vergnügens an der Macht, am Sadismus, an der psychischen Vernichtung und am Mord: am Triumph der Vaterlosigkeit und der Zerstörung der legitimierten gesellschaftlichen Ordnung. Nie wieder Auschwitz ist ein nobler, für eine demokratisch verfasste Gesellschaft Realitäts-ferner Appell, eine legitimierte mörderische Praxis zu verhindern. Verhindern müssen wir eine Praxis der beschämenden und kränkenden Exklusion und ein Klima des unkontrollierten Ressentiments, das unsere Bewegungen in der Öffentlichkeit bedroht und einschüchtert. Es wäre gut, wenn der Appell des Nie wieder Auschwitz sich in einer Politik der Großzügigkeit auswirken könnte, die daran interessiert ist, vergangenes (von den deutschen Herren begangenes) Leid und gegenwärtiges Leid zu entschädigen und zu kompensieren, und die darauf drängt, die Standards unserer Verfassung strikt zu behaupten und durchzusetzen, und sie nicht aus parteipolitischem Kalkül des Geschäfts mit der Macht halbherzig vertritt.

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